Kurz vor Fastenbeginn kehrt sich die Welt um und jeder darf Narr sein. Die Villacher Narreteien wurden bundesweit populär. Es gibt aber auch eine andere Seite des Faschings.

Foto: Peter Krivograd

An den Tagen vor Anbruch des Aschermittwochs sind in Alltagsmenschen mitunter seltsame Wesensveränderungen zu beobachten – in Österreich, geballt im Raum Kärnten. Vorwiegend Männer aus durchaus gehobenen Positionen setzen sich bunte Narrenkappen auf, schließen sich zu Gilden zusammen und fallen in die Lall-Sprache zurück.

Sie begrüßen einander zum Beispiel im Faschingsmekka Villach mit "Lei Lei", in Klagenfurt mit "Bla Bla", anderswo mit "Miau Miau" oder "Helau" . Psychoanalytisch betrachtet ist das Verhalten wohl einer leichten Regression, einem Rückfall in frühere Entwicklungsstadien, zuzuordnen.

Ein tiefer Sinn des Narrenspiels dieser Tage soll jedenfalls auch darin liegen, die Welt umzukehren. Jeder darf Narr sein, Grenzen überschreiten, gegen die Obrigkeit losziehen, noch einmal die Sau rauslassen, ehe es heißt: Carne vale – Fleisch, lebe wohl.

Rassismus

Dieses Spiel des Rollentauschs hat sich heuer im Klagenfurter Fasching in eine durchaus problematische Richtung entladen. Ulk und Narretei sind – wovon sich auch der STANDARD bei einer Faschingssitzung der "Stadtrichter" des "Stadtgerüchts zu Clagenfurth" ein Bild machen konnte – in Rassismus, extremer Frauenfeindlichkeit samt NS-Anspielungen abgeglitten.

Der Klagenfurter Jurist Helmut Sommer schimpft: "Das war ja abartig, völlig indiskutabel. Ich hab lautstark protestiert, es gab Buh-Rufe, einige Gäste sind aufgestanden und haben den Saal verlassen. Sketches, in denen Waterboarding und Analboarding praktiziert wird, dann diese Flüchtlingshetze. Und überall tiefster Sexismus. Frauen werden grundsätzlich nur als die blödesten Menschen der Welt dargestellt: Das hat mit Fasching nichts zu tun."

"Das Schlimmste" jedoch, das Sommer bei der Vorpremiere der "Stadtrichter" serviert worden sei, "waren Nummern, die Assoziationen mit Joseph Goebbels geweckt haben". Ein Faschingsbürgermeister träumt auf der Bühne – nach dem fiktiven Besuch bei US-Präsidenten Trump – vom Mauerbau rund um sein Dorf: "Wollt ihr die größte Mauer ...viel größer, als ihr es euch heute überhaupt vorstellen könnt."

Goebbels' "totaler Krieg"

Das sei, sagt Sommer "eindeutig" eine Anspielung auf Goebbels' Berliner Sportpalastrede über den "totalen Krieg" gewesen. Originalton 1943: "...Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?"

Eine andere Einlage, in der davon die Rede ist, dass ein Politiker den Kaugummi von der Straße aufkratzen soll, erwecke "zwangsläufig Bilder von Juden, die mit Zahnbürsten die Straße putzen mussten", sagt Sommer.

Besonders ins kritische Rampenlicht geriet der Sketch über eine "Integrationsklasse", weswegen die Caritas überlegt, sogar zu klagen. Ein "Abdullah", der Bombenanleitungen studiert, klagt über die Caritas, weil er ein schlechtes Handy bekommen habe. "Nix gute Qualität", aber er bekomme eh bald von der Caritas ein iPhone 20. Ein schwarz angemalter "Hausmeister" weigert sich zu arbeiten, weil dies zu Hause in Afrika Frauen erledigen.

Eine überforderte Lehrerin, die vor lauter Political Correctness den einheimischen Buben zugunsten des Bombenbastlers Abdullah benachteiligt, klärt ihn auf: "Wir müssen alle Opfer bringen für unsere Freunde mit Migrationshintergrund."

Diese Bedienung von Klischees empörte auch den deutschen Autor, Klagenfurter Stadtschreiber und Publikumspreisträger des Bachmannpreises, Karsten Krampitz. Er notierte nach dem Besuch einer der Vorstellungen in seinem Blog: "... alte weiße Männer, die sich als Asylant austoben". Im Sketch "Unsere Migrationsklasse" klopft sich das Publikum auf die Schenkel, als die Lehrerin Ranjid fragt, wie er, denn nach Österreich gekommen ist. Antwort: "Von zu Hause auf Tiger, dann Elefant, dann Boot, dann Zug, dann Limousine. Alles lacht."

"Nur noch billige Gags"

Die von Männern dargestellten Frauen sind in der Faschingswelt der Klagenfurter "Stadtrichter" hässlich, zu dumm, um unfallfrei den vom Mann georderten Alkohol vom Keller zu holen. Auf leisen Protest "ich bin nicht zum Bedienen da", hört sie: "Nein, auch zum Putzen." Und der Klagenfurter Messesaal johlt.

Immer wieder drehen der Ehemann und dessen Freund das Licht zu Keller ab, damit die Bier holende Frau hinunterstürzt und sich schwer verletzt. "Weils so Spaß macht", feixt der Freund. Eine positive Bewertung erfahren Frauen nur dann, wenn sie gleich viel wie ihre Männer saufen.

Johannes Grabmayer, Institutsleiter der Abteilung für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Klagenfurt, schüttelt verständnislos den Kopf und fragt sich, wie weit sich Kärnten Faschingsgilden von den ursprünglichen Intentionen schon entfernt haben. Grabmayer beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit dem Kärntner Fasching.

"Den großen Faschingsgilden zum Beispiel in Villach, aber auch in Klagenfurt geht es doch nur noch um Gags und billige Unterhaltung. Nach oben scharf zu kritisieren, traut man sich offenbar nicht mehr. Wohl aus Angst, Förderungen zu verlieren." Dabei, sagt Grabmayer, sei gerade der Fasching stets ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ventil gewesen, um es "denen da oben" hinein zu sagen. "Diese Ventilfunktion spielte vor allen in Zeiten großer staatlicher Repression eine wichtige Rolle", sagt Grabmayer.

Völlerei in der Kirche

Die Anfänge des Faschings hierorts sind im Klerikalen, im 12., 13. Jahrhundert zu finden. Da ging es rund in den Kirchen: Unzucht, Völlerei, zotige Gesänge, Beschimpfungen der geistlichen Obrigkeit. "Am Altar wurde getrunken, Karten gespielt und Wurst gegessen", weiß Grabmayer.

Das lustvolle Treiben in den Kirchen hat sich allmählich in die Städte verlagert. Hier spielten sehr bald Verkleidungen eine besondere Rolle. "Für kurze Zeit kann man in eine andere Rolle schlüpfen, sich seiner Persönlichkeit entledigen", sagt Grabmayer.

Die "Stadtrichter" jedenfalls verstehen die Kritik an ihrem Spiel nicht. "Sollten wir übers Ziel hinausgeschossen sein, dann tut uns das leid", sagte ein "Stadtrichter"-Sprecher. Man wehre sich aber dagegen, ins "rechte Eck" gestellt zu werden: Das Spiel mit Stereotypen gehöre zum Fasching dazu. Die Klagenfurter Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz (SPÖ) steht zu ihren "Stadtrichtern". Sie will ihnen für ihre Faschingssitzungen künftig die Vergnügungssteuer erlassen. (Walter Müller, 13.2.2018)