Begräbnisfeier für einen der zwölf am Wochenende in Afrin Gefallenen: Soldaten tragen in Istanbul den Sarg des Unteroffiziers Koray Karaca.

Foto: AFP / Yasin Akgul

Ankara/Athen – In einer Volkshochschule in der türkischen Provinz Hatay, an der Grenze zum Kriegsschauplatz im Norden Syriens, wird nun gezeichnet: türkische Soldaten, die Dörfer von "Terroristen säubern"; die rote Fahne mit dem Halbmond auf einem grünen Berghügel; eine Zivilistin, auf deren Schulter beruhigend die Hand eines Soldaten ruht. Gezeichnet wird bis zum Ende der Operation "Olivenzweig", erklärt die Lehrerin der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Wie lange das sein wird, fragen sich jetzt viele im Land.

Zwölf Soldaten der türkischen Armee wurden am Wochenende bei den Kämpfen mit den Kurden in der syrischen Provinz Afrin getötet. Fünf von ihnen starben am Samstag in einem Panzer, der im nordöstlichen Teil des Gebiets unter Beschuss kam. Zwei kamen beim Abschuss eines Kampfhubschraubers im Westen der Provinz ums Leben; ein Video der kurdischen Volksstreitkräfte (YPG) zeigt angeblich den Hubschrauber im Tiefflug über einem Bergdorf und eine schwarze Rauchwolke nach dem Absturz. Für die Türkei war der verlustreiche Samstag eine Zäsur in diesem Krieg, der nun in seine vierte Woche geht.

Tausende kamen zu den Begräbnissen, die am Sonntag und am Montag an den Heimatorten der Gefallenen stattfanden. Staatschef und Regierung bekundeten ihre Entschlossenheit, die Eroberung der mit knapp 2.000 Quadratkilometern nicht sonderlich großen Provinz zu Ende zu bringen. Doch hinter den Traueradressen, die etwa prominente Türken aus dem Showgeschäft vielfach geteilt in den sozialen Medien veröffentlichten, lassen sich auch Ratlosigkeit oder gar Kritik erahnen. "Unsere lieben Mehmets sollen kein Blut mehr lassen!", beendete eine Sängerin ihren emphatischen Tweet. "Mehmet" ist im Türkischen das Kosewort für einen Soldaten der nationalen Armee.

666 Festnahmen

Den Nachrichten im Fernsehen und den Kommentaren der Kolumnisten ist die große Vorsicht anzumerken. Dissens wird bestraft. 666 Festnahmen seit Beginn des Afrin-Feldzugs am 20. Jänner vermeldete das Innenministerium am Montag. Der Großteil machte sich der "Verbreitung von Propaganda" im Internet schuldig, der kleinere der Organisation oder der Teilnahme an Demonstrationen. Allein die Titelzeile "Elf Opfer in Afrin" am vergangenen Sonntag brachte den Journalisten der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" wegen angeblich fehlenden Mitgefühls Drohungen ein. "Ihr seid alle Verräter", sagte ein Moderator des regierungstreuen Islamistensenders Akit TV, "eure Köpfe sollten abgeschlagen werden".

Afrin ist der erwartet schwere Krieg der türkischen Armee gegen die Kurden. 30 Soldaten sind offiziell in den drei Wochen gefallen. 72 waren es bei der Operation "Euphratschild" östlich der Provinz Afrin; sie dauerte allerdings sieben Monate, von August 2016 bis März 2017. Aufseiten der Freien Syrischen Armee (FSA), die gemeinsam mit den Türken kämpft, wurden in Afrin bisher möglicherweise 150 Milizionäre getötet.

Die Verlautbarungen der türkischen Armee sind sparsam. Mehrmals täglich verkündet der Generalstab zwar die jüngste Zahl der "außer Gefecht gesetzten Terroristen", was deren Tötung oder Gefangennahme bedeuten soll. 1.369 lautete ein Zwischenstand am Montag. Auch die Namen eingenommener Ortschaften in Afrin gibt die Armee bekannt. Doch ein Gesamtbild vom Fortgang dieses Krieges haben die Türken nicht.

Kleine Terraingewinne

Nach drei Wochen fortgesetzten Bombardements von Stellungen und Waffenlagern der YPG – nur kurzzeitig unterbrochen von der Schließung des Luftraums durch die Russen – und dem Einmarsch von Bodentruppen hat die türkische Armee offenbar nur an den Rändern der Provinz Fuß fassen können. Allerdings täuscht der Blick auf die Karte: Das Terrain im Grenzgebiet ist gebirgig und nicht leicht zu erobern; die Provinzhauptstadt Afrin selbst aber liegt in einer Ebene. Und die türkische Armee zieht praktisch einen Ring um die Provinz. Die Truppen greifen von allen Seiten an, ausgenommen ist nur die Südostecke der Provinz, wo eine Straße nach Aleppo führt. Über diesen Korridor, so melden Reuters und Al-Jazeera unter Berufung auf die YPG sowie Damaskus, erhalten die Kurden mit Billigung des Assad-Regimes militärische Unterstützung. Kurdische Kämpfer aus den östlicher gelegenen Gebieten um Kobane, Qamishli und Hasakah kommen der YPG in Afrin zu Hilfe.

Dass die YPG außerhalb von Afrin der stärkste Verbündete der USA sind, bringt Amerikaner und Türken gegeneinander auf. US-Außenminister Rex Tillerson wird diese Woche in Ankara erwartet. "Wir werden die Beziehungen in Ordnung bringen oder völlig beschädigen", drohte sein türkischer Kollege Mevlüt Çavuşoğlu. (Markus Bernath, 12.2.2018)