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Nun marschieren Martin Schulz

Foto: reuters

Man muss lange nachdenken, um sich an eine solche Tragödie in der deutschen Politik zu erinnern, wie sie derzeit in der SPD mit fassungslosem Gruseln zu beobachten ist. Da steht nun Martin Schulz mit völlig leeren Taschen da, weil er sich so verspekuliert hat wie noch selten einer zuvor.

Vor einem Jahr noch – alle erinnern sich – war Schulz so etwas wie der rote Messias für die SPD. Jahrelang hatte die Partei in der Koalition mit der Union unter Angela Merkels Beliebtheit und Allmacht gelitten. Und dann kam St. Martin aus Brüssel angeritten, die SPD stand kopf vor Begeisterung und wählte ihn im März 2017 mit sensationellen 100 Prozent zu ihrem neuen Chef. Was für eine Ausstattung! Keiner seiner Vorgänger hatte so viel Kredit wie er.

Doch er konnte damit nicht umgehen, er machte einen Fehler nach dem anderen. Biederte sich ausgerechnet vor der Wahl im Saarland, wo Erzfeind Oskar Lafontaine residiert, den Linken an. War während des Wahlkampfes von Nordrhein-Westfalen bundespolitisch nicht präsent. Hatte zuerst kein Thema, dann viele kleine und ein großes falsches – nämlich "soziale Gerechtigkeit", die die Deutschen wenig interessierte.

Merkwürdiger Trip

Nach der Bundestagswahl sorgte Schulz für zwei Wortbrüche. Er wollte keine Groko – und schmiedete dann doch eine. Er wollte nie unter Merkel Minister sein – und dann doch das Außenamt übernehmen. Man kann nicht nachvollziehen, was in ihm am Schluss vorging. Er sah das tosende Unwetter nicht mehr, das sich überall zusammenbraute und dessen Ursache seine Volten waren.

Egal, wie schwierig das Verhältnis zum Schluss war und wie mühsam es manchmal auch mit Sigmar Gabriel sein kann – aber wie Schulz mit dem langjährigen Spitzengenossen umgesprungen ist, da graust's – wie man im Dorf sagt – einer Sau. Es war unwürdig, erst recht in einer Partei, die das Wort "sozial" im Namen trägt. Noch im Rausfallen riss Gabriel Schulz dann mit – den Rest erledigten zu Recht die SPD-Granden, die ihm das Vertrauen entzogen. Hätte man Schulz nicht von seinem merkwürdigen Trip heruntergeholt, das Mitgliedervotum der SPD über den Koalitionsvertrag wäre zur Abrechnung mit ihm und zu einem einzigen Desaster geworden.

Schulz persönlich hat Haus und Hof verspielt und fast auch noch den letzten Rest von Würde der SPD. Diese liegt am Boden, und es wird lange dauern, bis sie sich von diesem Höllenritt erholen kann. Er ging nicht nur an die Substanz der Partei, sondern hat auch der Demokratie Schaden zugefügt. Es war Politik vom Schlechtesten.

Fast kann einem Andrea Nahles leidtun, die nun als "Trümmerfrau" die SPD übernimmt. Sie wird alle Kraft brauchen, um den Laden wieder in Schuss zu bringen. Es wird harte Arbeit werden – und zwar nicht nur für Nahles, sondern für alle. Auf die vermeintliche Strahlkraft eines Einzelnen wird sich die SPD nach diesem Desaster so schnell wohl nicht wieder verlassen. (Birgit Baumann, 9.2.2018)