Pyjamaparty für die gehobenen Stände: Gwendolen (Miriam Fussenegger) und John/Jack/Ernest (Katrin Röver, re.) in Oscar Wildes "Bunbury" am Stadttheater Klagenfurt.

Foto: Lalo Jodlbauer

Klagenfurt – Wenn alle auf der Suche nach einer erträglichen Identität stets die Rolle wechseln, sind wir in Oscar Wildes sogenannter Komödie Bunbury. Die endet mit dem größten anzunehmenden Unfall: Jack, der John heißt, ist Ernst. Derselbe Ernst, den er meinte, erfunden zu haben. Derselbe, in dessen Schatten er sich versteckt glaubte, wenn er im Umland der Stadt seinen Ausschweifungen nachging. Grauenhaft. Die ganze Zeit die Wahrheit gesagt zu haben, wenn auch unabsichtlich.

Stadttheater Klagenfurt

"Kannst du mir verzeihen?", beißt ihn sein Gewissen wegen der anwesenden Verlobten. Wenn man die herrschenden Normen schon untergräbt, so ist aus Rücksicht auf die mögliche Abscheu der anderen die Lüge doch geradezu Pflicht. Gwendolen Fairfax allerdings, genauso versiert in der Verstellungskunst, versteht sich auf doppelmoralische Komplikationen nur allzu gut.

Alles verdoppelt

Michael Sturminger hat in seiner immer irgendwie gelassen wirkenden, eigentlich unspektakulären und doch stets spektakulär nahe an den Kern des Textes vordringenden Art am Klagenfurter Stadttheater das brillante Konversationsstück neu inszeniert. Er griff dabei auf die 2005 am Akademietheater aus der Taufe gehobene, entlarvend von vulgären Versprechern durchsetzte Fassung von Elfriede Jelinek zurück. Und er verdoppelte alles, was bisher in der 122-jährigen Aufführungsgeschichte noch nicht verdoppelt war: Wie den Park des Landsitzes die Statue eines Hermaphroditen ziert, fallen auch beim Personal die Geschlechter in eines.

Auch die männlichen Rollen sind mit Frauen besetzt, denen es somit zukommt, an die von Platon angedachte Einheit von Frau und Mann zu gemahnen, die zwar physisch nicht augenfällig ist, in Bezug auf die Neigung zu Sündenfällen aber immer noch eine gewisse Plausibilität hat. Und bei beiden Geschlechtern zündet das Feuerwerk an Freud'schen Fehlleistungen gleich decouvrierend, mit dem die Nobelpreisträgerin die Textvorlage scharf gemacht hat.

Die virtuose Fassung, basierend auf der Übersetzung von Karin Rausch, verdeutlicht mehr, als die spätviktorianische Epoche es Wilde gestattet hätte, dass die Libido der zentrale Antrieb aller Figuren ist. Wo bei dem grandiosen Dialogschreiber Wilde die Worte noch wie silberne Messer den Raum durchschneiden, sind es bei Jelinek eindeutige Zweideutigkeiten. Wo sich Wildes Kritik gegen die High Society seiner Zeit richtet, darf sich jetzt die gesamte heutige Gesellschaft adressiert fühlen, einschließlich des in ihr auftretenden, gerade vieldiskutierten sexistischen Sprachgebrauchs.

Jonglieren von Identitäten

Ob im Garten mit nächtlich auftauchender Katze oder im klarsichtmöblierten Salon (Bühne: Paul Sturminger, Manuel Biedermann), das Ensemble ist mit höchster Spielfreude dabei, mit Identitäten zu jonglieren. Maresi Riegner, bekannt aus dem Schiele-Film Tod und Mädchen, ist in ihrer Impulsivität eine schrille Göre Cecily, die alles daransetzt, eine Ehefrau zu werden. Die Gwendolen Miriam Fusseneggers, die ihr die Muffins an die Stirne klatscht, steht ihr um nichts nach. Da sind aber auch noch die Tante Augusta der Michou Friesz und der Pastor Chasuble der Maria Hofstätter, beide auf ihre Weise sexuell rumorend in den Gefängnissen ihrer Gesellschaftsrollen.

Da sind der John/Jack/Ernest der Katrin Röver, pendelnd zwischen städtischer Ausgelassenheit und ländlicher Verantwortung gegenüber seinem Mündel, oder Marie-Christine Friedrichs Gouvernante im Strickkleid, eine hoffnungslos subaltern Einhertrippelnde, die gleichwohl bereits einen dreibändigen Roman verlegt hat, also nicht bei einem Verlag, sondern auf der Victoria Station.

Besonders ist da schließlich noch der von Elzemarieke de Vos verkörperte Algernon, der sich am Ende – die letzte Doppelung – als Johns Bruder erweist. Sie/er, im leuchtend grünen Anzug wie ein verhinderter Popstar erscheinend, bräuchte gar keinen Text, um schon allein durch die Körpersprache die Verlorenheit im Sein zum Ausdruck zu bringen. Klagenfurter Fasching, mit Niveau. (Michael Cerha, 9.2.2018)