Nein, sicher nicht", sagt Herr Augustin. "Da muss man realistisch bleiben", sekundiert Herr Grill. Die beiden sitzen in der schmucken Kantine auf der Anlage des Nussdorfer AC. Es geht um nicht weniger als das Spiel des Jahres, das hier in aller Abgeklärtheit eingeschätzt wird. Genauer um die Frage: Kann der NAC die Vienna schlagen?

Ein Match gegen die Vienna hätte man sich in Nussdorf nicht träumen lassen.

Es ist kaum zu glauben, aber ein Aufeinandertreffen der Döblinger Nachbarn ist ein Ereignis von ausgesuchter Seltenheit. In 111 Jahren, denn dieses stolze Alter hat der 1907 gegründete Nussdorfer Klub heuer erreicht, ist es genau einmal dazu gekommen, anno 1968 nämlich. Das zweite wird sich am 3. März um 15 Uhr begeben, dann empfängt der NAC die Blau-Gelben zum Auftakt der Frühjahrssaison in der zweiten Wiener Landesliga.

Man hätte es sich am Fuß des Rotschiberges nicht träumen lassen, sich je wieder mit dem sechsfachen österreichischen Meister und Mitropacup-Sieger in einem Bewerbsspiel zu messen. Doch der prozessierte sich nach seiner Insolvenz im Lauf des Herbstes erfolgreich in die fünfte Leistungsklasse.

Man übernimmt dort den Platz der zweiten Mannschaft und liegt mit 19 Punkten tabellarisch quasi Kopf an Kopf mit den Nussdorfern (16). Die Ausgangslage scheint eindeutig.

Während sich die Vienna zügig Richtung Profifußball entwickeln will, wie Geschäftsführer Gerhard Krisch unlängst im Ballesterer kundtat, strebt der NAC einstellige Tabellenplätze an. Man arbeitet mit Eigenbauspielern, ein Aufstieg in die Wiener Liga ist derzeit kein Thema, etwaige finanzielle Abenteuer schon gar nicht.

Walter Augustin (links) und Alfred Grill haben ihr Leben dem Fußball verschrieben. Was man da erleben kann, darüber erzählen sie in der schmucken und rauchfreien Kantine des Nussdorfer Athletik Sportklubs.
Foto: Christian Fischer
Der NAC-Platz an der Grinzinger Straße.

Walter Augustin, der Obmann, und Alfred Grill, der Archivar, sind Routiniers und dem Verein seit Jahrzehnten verbunden. Vor nunmehr 14 Jahren hat man Weichen gestellt, sich ganz und gar der Nachwuchspflege verschrieben. Mit Wolfgang Vogel fand man damals den richtigen Mann dafür.

Nach der Übungseinheit rauchen oder ein Bier trinken – das geht nicht (mehr).

Herr Grill preist den Einsatz des Nachwuchsleiters, der jeden Tag um halb vier auf der Anlage steht. Als Erstes habe Vogel die Trainer diszipliniert: Nach der Übungseinheit rauchen oder ein Bier trinken, womöglich noch im Sportgewand – das geht nicht (mehr). Sein auf Ordnung bedachtes Regiment – die Kinder werden etwa nachdrücklich zum Grüßen angehalten – habe, erzählt Herr Grill lächelnd, die Eltern anfangs befremdet. "Aber eigentlich finden sie es mit der Zeit gut."

Mittlerweile spielen, von etwa 18 Coaches betreut, 240 Jugendliche beim NAC. Fast zu viele sind das, aber Vogel bringe es halt nicht übers Herz, "einen wegzuschicken, der kicken will".

Jeden Freitag gibt es einen Fußballkindergarten – "das müssen Sie sich anschauen, was da los ist". Herr Augustin gerät ins Schwärmen. Anfang Juli gastiert die "Schanzer Fußballschule" des deutschen Zweitligisten Ingolstadt in Nussdorf.

Der umtriebige Vogel ist auch eine Art Zukunftshoffnung des Vereins. Herr Augustin und Herr Grill sind in ihren Siebzigern, langsam kommt die Zeit für einen Generationswechsel. Aber weitergegangen ist es ja immer irgendwie, sogar zwei Weltkriege hat der NAC überlebt.

111 Jahre alt wird der Nussdorfer AC heuer, seine Zukunft liegt in der Nachwuchsförderung.
Foto: Christian Fischer
Peter Persidis startete seine Karriere beim NAC. Er wurde Meister mit Olympiakos Piräus und am Ende seiner Karriere auch mit Rapid. Er starb 2009.

Wie er selbst an die Obmannschaft gekommen ist? "Mach's du", haben sie gesagt. Herr Augustin lacht. Er hat es gemacht, ist in seiner dritten Periode. Ein bisschen eine Gratwanderung ist die Amtsführung schon, es gibt kein Geld, alle im Verein sind Idealisten: "Du kannst niemandem etwas anschaffen."

Alle im Verein sind Idealisten: "Du kannst niemandem etwas anschaffen."

Für das Vienna-Match am Samstag erwartet er immerhin 300 Zuschauer anstelle der sonst üblichen 50. Im 68er-Jahr waren die Größenverhältnisse noch andere. Die Partie ist mittlerweile legendär, um sie nicht zu versäumen, hat Herr Augustin damals sogar seine Hochzeitsreise verschoben.

Offiziell drängten sich 3.000 Leute am etwas versteckt an einer Geländestufe gelegenen NAC-Platz, Augenzeugen munkeln von bis zu 5.000. Die Vienna war aus der Staatsliga in die Regionalliga Ost abgestiegen, damals die zweithöchste Spielklasse des Landes. Der NAC kam als Neuling aus der anderen Richtung.

Die Döblinger rückten mit einer Klassemannschaft an, Größen wie der Brasilianer Jacare und Teamstürmer Horst Nemec traten für Blau-Gelb an. Das Tor hütete Viliam Schrojf, der 1962 mit der Tschechoslowakei im WM-Finale gegen Brasilien gestanden war. Der Ex-Nussdorfer Peter Persidis gab den Libero.

Wie es sich für ein Derby gehört, dürfte es heiß hergegangen sein. Härteeinlagen gab es von beiden Seiten, zwei Nussdorfer wurden ausgeschlossen. Auf einer schiefen Ebene lief das Match allerdings bei weitem nicht, auch wenn der NAC-Platz damals ordentlich gehängt ist, angeblich gut eineinhalb Meter.

"Auf einmal waren wir Meister"

Einer der blau-schwarzen Helden beim knappen 3:4 war Herr Grill. Seit 1958 verteidigte er für die Erste und kennt die sportlich erfolgreichsten Zeiten der Nussdorfer daher aus erster Hand. 1960 gelang erstmals der Ostliga-Aufstieg, wie, das wusste man selbst nicht so recht. "Die anderen wollten nicht, auf einmal waren wir Meister", sagt Herr Grill.

Immerhin zwei Saisonen lang konnte sich der NAC halten. Der zweite Aufstieg 1967 "war dann Absicht". Im Herbst lief es gut, aber im Frühjahr gab es nur mehr drei Punkte. Gerüchte sagen, dass es die älteren Spieler, nachdem ihnen die geforderte Siegprämie von 500 Schilling verweigert worden war, ein bisschen lockerer genommen hatten.

Postwendend folgte der Abstieg. "Aber", meint Herr Grill, "wahrscheinlich haben wir dort eh nicht hingehört."

Walter Nettig, Michael Häupl, Herr Grill und Gemeinderat Franz Ekkamp (von links) freuen sich anno 1992 über das neue Kunstrasenfeld am NAC-Platz.
Foto: nac
Ehre, wem Ehre gebührt.
Foto: Christian Fischer

Einen weiteren Berührungspunkt mit der Vienna gibt es in der Person von Walter Nettig. Noch bevor der Wiener Wirtschaftskammer-Chef sich bei den Blau-Gelben engagierte, griff er dem NAC unter die Arme, dem gerade der Sponsor weggebrochen war. "Wir waren uns gleich sympathisch", erinnert sich Herr Grill, der zu diesem Zeitpunkt die Geschicke des Klubs lenkte, an die erste Kontaktaufnahme.

Ära Nettig: 5.000 Schilling pro Monat, aber "nie etwas Schriftliches".

1977 wurde Nettig Präsident, er sollte den Nussdorfern beinahe 28 Jahre lang verbunden bleiben. Anfangs gab es 5.000 Schilling pro Monat, drei Garnituren Dressen, aber "nie etwas Schriftliches".

In das Tagesgeschäft habe sich Nettig nicht eingemischt, sagt Herr Grill. Am wertvollsten waren für den Verein dessen Kontakte in die Politik, bezahlt machten sich diese bei Infrastrukturmaßnahmen, etwa als die Gemeinde Wien 1992 ein neues Kunstrasenfeld finanzierte.

Nettigs Verhältnis zu Michael Häupl, damals Stadtrat für Sport, war bereits ein durchaus amikales. Jenes der Nussdorfer zur Vienna nennt Herr Grill "korrekt", auch wenn es den Kleinen schon fuchst, sobald der Größere wieder ein aussichtsreiches Talent abwirbt.

Der Nussdorfer Athletik Sportklub ist ein Arbeiterverein mitten im bürgerlich geprägten Döbling. "Aber Politik spielt bei uns keine Rolle", sagt Herr Grill. Von den Gründervätern ist nicht mehr bekannt als ihre Namen, in Nussdorf gab es damals Ziegeleien und eine Brauerei – von dort könnten sich die ersten Kicker rekrutiert haben.

Ein Glanzstück aus dem Fundus von Archivar Grill: eine Ausgabe der Vereinszeitung aus dem Jahr 1921.
Foto: Christian Fischer

Vier von ihnen vertraten 1919 Niederösterreich in einem Ländermatch gegen Schlesien. Der NAC trat der "Freien Vereinigung der Amateur-Fußballvereine Österreichs" (VAFÖ) bei, die sich 1926 vom Österreichischen Fußball-Verband (ÖFV) abspaltete.

Der sozialdemokratische VAFÖ organisierte eine eigene Meisterschaft, seine Auswahl gewann 1931 bei der Arbeiter-Olympiade im gerade fertiggestellten Praterstadion durch einen Finalsieg über Deutschland das Fußballturnier. Nach 1934, die Diktatur des Ständestaates wurde errichtet, war es mit dem Arbeitersport dann schnell vorbei.

Die Gasrechnung, die Bäume – das Leben

Zurück in der Gegenwart erzählen Herr Augustin und Herr Grill über die Mühen der Ebene. Einen kleinen Fußballverein in Wien durchzubringen ist eine Herausforderung, auch wenn die beiden mehrfach betonen, sich nicht beschweren zu wollen. Bilanziert wird mit plus/minus null, wenn es sich einmal nicht ausgeht, legt Herr Augustin die notwendige Summe schon einmal hinein. Die Einkünfte des Vereins speisen sich vor allem aus Kantinenpacht, der Nachwuchsförderung und den winters von einer temporären Halle geschützten Tennisplätzen.

Die bürokratischen Ansprüche haben sich vervielfacht, wo früher "ein Blatt gereicht hat, brauchst du heute ein ganzes Buch", seufzt Herr Augustin. So manche Vorgabe der Gemeinde hält er für nicht gerade realitätsnah. An die großen Brocken wie Baumpflege – exakt 314 Exemplare gibt es auf dem NAC-Areal – oder die notwendig gewordene Erneuerung von Elektroinstallationen gehe man "pragmatisch" heran. Seit vier Jahren verfügt der Verein endlich über einen Kanalanschluss.

Noch immer kann sich Herr Augustin darüber freuen, dass man den Preis für Sitzschalen aus der Steiermark, die die alten Holzbänke ersetzt haben, auf die Hälfte herunterhandeln konnte. "Und geliefert haben sie sie auch noch!"

Stolz ist man auf die rauchfreie Kantine und darauf, dass der NAC-Platz als einziger in Wien immer offen ist. Manchmal muss man sich deshalb zwar mit uneinsichtigen Hundebesitzern, die ihre Lieblinge auf dem Spielfeld äußerln lassen, und rasenden Radboten – der Weg über die Anlage ist die kürzeste Verbindung zwischen Hammerschmidtgasse und Grinzinger Straße – herumschlagen. Die im Grätzel geschätzte bewohnerfreundliche Praxis geht aber vor.

Herr Grill und Herr Augustin führen über die NAC-Anlage. Der Schnee hält an diesem Tag untrüglich die Spuren von Hundebesuch auf dem Spielfeld fest. "Machen S' was Schönes draus", sagt Herr Grill zum Abschied.
Foto: Christian Fischer
Diese Sitzreihen sollen sich am 3. März gegen die Vienna füllen.
Foto: Christian Fischer

Wie nahe der Fußball im Unterhaus und die Menschen, die sich ihm verschrieben haben, dem wahren Leben noch stehen, illustriert sehr schön auch die folgende Anekdote: Eines Tages trudelte beim NAC eine Rechnung über mehrere tausend Euro ein, seit Monaten sei die Gasrechnung nicht bezahlt worden. Herr Augustin fiel aus allen Wolken.

Des Rätsels Lösung? Eine adressliche Verwirrung. Immer schon war der NAC an der Grinzinger Straße 111 beheimatet gewesen. Eine stattliche Villa steht dort noch heute, "sonst", sagt Herr Augustin, "war ja hier früher nichts".

Gleich daneben und unübersehbar: der Zugang zum Sportplatz, Postadresse Grinzinger Straße 109. Es sei ja nie jemand zu Hause gewesen, rechtfertigte sich der Ableser, der den NAC irgendwo auf 111 wohnhaft vermutet hatte. Herr Augustin schüttelt den Kopf. "Hat er geglaubt, wir spielen im Wohnzimmer?" (Michael Robausch, 2.3.2018)