Für Rosibel Ramos war es normal, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen wurde. "Ich hatte keine Stimme, kein Gesicht", erzählt die heute 57-Jährige aus Estelí, einer Stadt rund zweieinhalb Autostunden nördlich der nicaraguanischen Hauptstadt Managua. Ihre Aufgaben waren klar definiert: Kochen, Putzen, Kinder. Ein eigenes Einkommen, eine Ausbildung oder gar Mitsprache waren nicht vorgesehen.

Ivania Marticu Irias nickt heftig während sie weiterhin die Arme verschränkt. Die 48-Jährige ist alleinerziehende Mutter. Mit 18 Jahren bekam sie ihr erstes Kind, mit 28 Jahren das fünfte. Keines der Kinder wollte sie selbst. Sie war ein "Objekt zum Gebären", wie sie selbst sagt: "Nach dem letzten Kind habe ich mich heimlich sterilisieren lassen", erzählt Irias: "Davon wusste mein Mann nichts."

Rosibel Ramos besucht mittlerweile Kurse an der Universität zum Thema Landwirtschaft.
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Kaffee als Weg aus der Misere

Die beiden Frauen sitzen mit einem Dutzend anderen Frauen in einem Kreis aus weißen Plastiksesseln in einem geräumigen Schuppen, der nach beiden Seiten offen ist. Der Luftzug sorgt für eine kühlende Brise in dem nicht klimatisierten Raum. Damit einher geht ein leichter Duft nach frisch gebrühtem Kaffee – dem Genussmittel, das sie aus der Misere geführt hat.

Im Jahr 1995 schlossen sich einige Frauen des Bezirks Estelí zur Fundación entre Mujeres (FEM) zusammen, einer Stiftung von und für Frauen, die zum Teil von der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar unterstützt wird. Zuvor waren sie teilweise in Gewerkschaften der Landarbeiter organisiert. Ihre Stimmen verhallten jedoch unter jenen der Männer ungehört. "FEM hat keine Verbindung zu Parteien, Kirche, oder dem Staat", erzählt eine der Gründerinnen Diana Martínez: "Und schon gar nicht zu den Ehemännern", fügt die 59-Jährige hinzu.

Gemeinsam erreichten die Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit.
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Fehlende Bildung unter Frauen

Die Frauen wollten die Kontrolle über ihren Körper zurückhaben, bei Entscheidungen mitreden und vor allem Lesen und Schreiben lernen. Rund 24 Prozent der ländlichen Bevölkerung sind Analphabeten. "Die fehlende Bildung war der größte Unterdrückungsmechanismus der Männer", sagt Martínez. Deshalb war das erste Ziel, die Frauen zu unterrichten. Außerdem fuhren die Gründerinnen mit einer mobilen Klinik in die Dörfer. Sie erklärten den Frauen, wie ihr Körper funktioniert, wie sie Sexualität erleben können und verteilten oft heimlich Verhütungsmittel.

Nebenher kauften sie Land und verteilten es an die Mitglieder der Gemeinschaft. Zum ersten Mal wurde es Frauen ermöglicht durch Kartoffeln, Tomaten oder Kaffee selbst Geld zu verdienen und sich so aus der Abhängigkeit von den Ehemännern zu lösen. Den Männern war das wenig recht. "Sie haben uns unsere Söhne zu den Treffen mitgeschickt", erinnert sich Ramos: "Sie sagten uns nach, dass wir uns nur neue Männer suchen würden."

Doch auch, wenn ihre landwirtschaftliche Arbeit belächelt wurde, brachten die Bäuerinnen die Kritiker schnell zum Schweigen. Mit dem Namen "Las Diosas" oder "Die Göttinnen" schufen sie eine Marke. Die erste Ladung Fair-Trade-Kaffee aus eigenem Anbau, den die Frauen nach Deutschland exportierten, spülte rund 10.200 Euro ins Budget des Kollektivs. "Die Frauen sind uns plötzlich zugelaufen", erzählt Martínez.

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Teilnehmerinnen an einem Protest gegen Gewalt an Frauen in der Hauptstadt Managua.
Foto: REUTERS/Oswaldo Rivas

Verbreitete Gewalt

Gewalt an Frauen ist in Nicaragua ein massives Problem. Eine Analyse des nicaraguanischen Instituts für Rechtsmedizin schätzt, dass 77 Prozent aller Frauen Opfer von Gewalt werden. 45 Prozent davon leiden unter häuslicher Gewalt und 23 Prozent wurden bereits einmal Opfer sexuellen Missbrauchs. Offizielle Zahlen gibt es keine. Vor allem Jugendliche und Kinder sind von sexueller Gewalt betroffen. Hinzu kommt, dass Nicaragua die höchste Rate von Teenagerschwangerschaften in Lateinamerika hat. Von 1000 Geburten wurden im Jahr 2015 statistisch gesehen 88,1 Kinder von Frauen zwischen 15 und 19 Jahren zur Welt gebracht.

Anläufe, die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, gab es bereits mehrere. Zuletzt feierten Aktivistinnen im Jahr 2012, als das Gesetz Nummer 779 in Nicaragua in Kraft trat. Es war ein Schutz vor Diskriminierung, dem Femizid, dem Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts und bot sogar staatliche Hilfe im Fall von Trennungen an. Außerdem sollten spezielle Gerichte und Spezialeinheiten der Polizei gegen Gewalt an Frauen vorgehen. Doch die Euphorie verpuffte schnell.

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2013 wurde der gesetzliche Schutz von Frauen weitgehend wieder zurückgenommen.
Foto: REUTERS/Oswaldo Rivas

Vergleich mit Teufelszahl

Der Widerstand der Männer in dem Land, wo das Patriarchat noch immer tief verankert ist, war zu stark. Sogar Erzbischof Abelardo Mala ließ sich im Mai 2013 zu der Aussage hinreißen, dass die neue Nummer des Teufels 779 und nicht mehr 666 sei. Die Regierung Daniel Ortegas knickte ein und verabschiedete eine Reform des Gesetzes, die die Situation der Frauen teilweise sogar wieder verschlechterte. So müssen Frauen Gewalterfahrungen zuerst an ein sogenanntes "Familienkomitee" richten, dass aus Personen der Nachbarschaft besteht und nicht mehr sofort zur Polizei gehen. Außerdem sieht die Reform vor, dass Frauen mit ihrem Angreifer eine Mediation versuchen müssen, bevor es zu einer Anzeige kommt.

Zudem sind seit dem Jahr 2006 Abtreibungen in Nicaragua illegal – selbst bei Lebensgefahr der Mutter oder nach Vergewaltigungen. Die Regierung veröffentlicht keine Daten zu Schätzungen von illegalen Schwangerschaftsabbrüchen. "Vor allem die ärmsten Frauen des Landes sind davon betroffen", sagt Mayte Ochoa von der Hilfsorganisation Ipas, die gegen unsichere Abtreibungen vorgeht: "Sie sind vom öffentlichen Gesundheitswesen abhängig." Und hätten somit keine Chance einen sicheren Abbruch vornehmen zu lassen. Wie viele Mütter bei solchen Eingriffen sterben – auch darüber halte sich laut Ochoa das Gesundheitsministerium bedeckt. Eine Klage vor dem Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2008 blieb unbearbeitet. Bestrebungen von Frauenbewegungen, das Gesetz zu kippen, werden ignoriert.

Anabell Castro Jarquro braucht keinen Mann für das Einkommen.
Foto: Blei

Umdenken bei der Jugend

Die 19-jährige Anabell Castro Jarquro will sich nicht mehr ignorieren lassen. Sie ist die Enkeltochter einer Mitbegründerin der FEM und in ihrem Geiste erzogen worden. Finanzielle Unabhängigkeit ist ihr wichtig und auch bei ihren männlichen Freunden sieht sie ein Umdenken. Die 19-Jährige baut Mais und Bohnen an, ihre Großmutter erntet Hibiskus und Kaffee. "Die Gesellschaft lässt uns glauben, dass der Mann für das Einkommen zuständig ist", erzählt die junge schwarzhaarige Frau und lächelt: "Doch ich kann das selbst." (Bianca Blei aus Estelí, 21.2.2018)