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Mit Stöcken bewaffnete Migranten marschierten am Donnerstag in Calais.

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Die Lokalzeitung "Le Nord Littoral" veröffentlichte am Freitag – etwas unscharfe – Bilder von den Ausschreitungen.

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Der französische Innenminister schickt nun weitere Polizeieinheiten. Doch ob das hilft, ist fraglich.

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Augenzeugen von Hilfsorganisationen sprachen von "Kriegsszenen". Latente Spannungen zwischen Eritreern und Afghanen sind bei einer Essensausgabe in der Nähe des geschlossenen Lagers Calais offen ausgebrochen. Laut Polizeiberichten und Handyvideos gingen zahlenmäßig überlegene Afrikaner mit Schlagstöcken und Eisenstangen auf einige Dutzend Afghanen los. An zwei Orten fielen darauf Schüsse, bevor die Polizei eingreifen konnte. 22 Männer wurden verletzt, mehrere durch Pistolenkugeln. Vier Personen liegen mit lebensgefährlichen Verletzungen im Spital.

Es ist nicht das erste Mal, dass Vertreter unterschiedlicher Nationalitäten östlich von Calais aneinandergeraten. "Noch nie ist aber ein solches Ausmaß an Gewalt festgestellt worden", meinte Innenminister Gérard Collomb am Freitag bei einem Besuch vor Ort. Er verlegte zwei weitere Polizeieinheiten in die französische Hafenstadt, von wo aus Flüchtlinge seit Jahren als blinde Passagiere nach England zu gelangen versuchen.

Die Frankreich-Korrespondentin des ORF beschreibt die Hintergründe für die massiven Zusammenstöße zwischen Migranten im nordfranzösischen Calais.
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Mit Tränengas "geweckt"

Die Regierung verhindert seit der Räumung des wilden Camps im November 2016 jede neue Lagerbildung im Ansatz. In dem Buschwerk der Sanddünen lösen Polizeipatrouillen jeden Morgen spontane Menschenansammlungen auf. Zelte und Schlafsäcke werden konfisziert, die zumeist jungen Männer angehalten, in der Stadt ein reguläres Asylgesuch zu stellen. NGOs werfen der Polizei ein wenig zimperliches, ja brutales Vorgehen vor; Schlafende würden mit Tränengas "geweckt" und mit Schlägen vertrieben.

Collomb erklärte dagegen, seit 2016 sei kein einziges Fehlverhalten der Polizei registriert worden. Für den Gewaltausbruch macht er bewaffnete Schlepperbanden verantwortlich. "Es ist offensichtlich, dass es Bandenchefs gibt, die andere mitziehen. Wir wollen diese Netzwerke zerschlagen", meinte der Innenminister, laut dem allein seit Jahresbeginn sechs Schlepperbanden unschädlich gemacht worden seien.

Permanente Suche nach einem Nachtlager

Collomb betonte generell: "Es gibt für die Migranten keine Lösung in Calais." Der Fährhafen ist heute in der Tat so stark gesichert, dass kaum mehr jemand unentdeckt über den Kanal gelangt. Dieser Umstand dürfte für die Spannungen vor Ort mitverantwortlich sein: Die oft über Tausende von Kilometern Angereisten finden sich kurz vor ihrem Ziel in einer Sackgasse wieder. Dazu müssen sie sich jeden Abend ein neues Nachtlager suchen.

"Diese prekäre Lage stärkt nur die Stellung der Schlepper und treibt die Ankommenden in ihre Hände", meint Jean-Claude Lenoir von der lokalen Hilfsorganisation Salama. "Bei der Gewalt geht es sicher um die Verteilung des Geländes."

Der Gewaltausbruch führt den Franzosen schlagartig vor Augen, dass die Lage in Calais keineswegs entschärft ist. Um die Stadt halten sich laut Behörden etwa 600 Migranten auf. Das ist zehnmal weniger als 2016, doch die Tendenz ist wieder steigend. Deshalb stellt die Regierung eine gewisse Härte oder zumindest Kompromisslosigkeit gar nicht in Abrede.

Mitte Februar wird die Regierung ein neues, verschärftes Asyl- und Ausländergesetz vorlegen. Die Eingabe- und Behandlungsfristen werden verkürzt, Rückführungen sollen erleichtert werden. Calais wird dennoch ein Problem bleiben, denn einen Ausweg weiß niemand. (Stefan Brändle aus Paris, 2.2.2018)