Carles Puigdemont meldete sich immer wieder aus dem belgischen Exil zu Wort. Eine Angelobung ist aber nur bei persönlichem Erscheinen möglich. Der Ex-Regierungschef ist zunehmend demoralisiert.

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Es kommt Bewegung in die verfahrene Situation in Katalonien. Der frühere katalanische Vizeregierungschef und Spitzenkandidat der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), Oriol Junqueras, meldete sich am Donnerstag aus dem Gefängnis zu Wort, wo er seit über 90 Tagen unter anderem wegen "Rebellion" in U-Haft sitzt. Er schlägt vor, "eine symbolische Präsidentschaft" mit einer "effektiven" zu kombinieren. Das würde bedeuten: Ein unbelasteter Politiker wird Regionalpräsident, aber der von Madrid abgesetzte und nach Brüssel geflohene Carles Puigdemont führt den Titel des "legitimen Präsidenten im Exil".

Die Erklärungen Junqueras' verdeutlichen: Die Tage der gemeinsamen Strategie sind vorbei. Das Unabhängigkeitslager ist gespalten. Denn Puigdemonts "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) hält weiterhin an der Amtseinführung ihres Spitzenkandidaten fest.

Keine Wahl aus der Ferne

Der Ex-Regierungschef wollte sich am Dienstag in Abwesenheit wieder zum "President" wählen lassen, entweder per Videokonferenz oder indem er seine Antrittsrede an einen Parlamentskollegen delegierte. Wie auch Junqueras und weitere 26 Politiker werden ihm "Rebellion", "Aufstand" und Veruntreuung öffentlicher Gelder" vorgeworfen. Gegen Puigdemont besteht ein Haftbefehl. Parlamentspräsident Roger Torrent vertagte die Wahl aber und machte dem Ex-Präsidenten so einen Strich durch die Rechnung. Torrent gehört wie Junqueras zur linksrepublikanischen ERC. Vertreter der Partei reden seit Tagen davon, im Notfall Puigdemont für eine handlungsfähige Regierung "zu opfern". Spaniens Premier Mariano Rajoy begrüßte diese Entwicklung und verlangt einen Kandidaten, der "dialogbereit" sei – ohne selbst Angebote, über die verhandelt werden könnte, zu machen. Ein Sprecher von Rajoys Partido Popular (PP) bezeichnet den Ex-Regionalpräsidenten als "Zombie". Auch die Sozialisten und die rechtsliberalen Ciudadanos verlangen, dass die Unabhängigkeitsbefürworter endgültig auf die Kandidatur Puigdemonts verzichten.

Abgefilmte Nachrichten

Der exilierte Politiker selbst fühlt sich verraten, wie in den vergangenen Tagen offenkundig wurde. "Das hier ist vorbei. Sie haben uns geopfert", textete er am Dienstagabend nach der Vertagung der Amtseinführung. Ein Privatsender filmte die Nachricht unbemerkt vom Display des Adressaten – der ehemalige katalanische Gesundheitsminister Toni Comín – ab und machte sie öffentlich.

Spaniens Regierung hatte vor dem Verfassungsgericht gegen die geplante Amtseinführung geklagt und teilweise Recht bekommen. Torrent akzeptierte dies mit seiner Entscheidung. Puigdemont hat sich in den vergangenen Monaten auch in Katalonien nicht nur Freunde gemacht. Seine JxCat wurde entgegen allen Umfragen bei den von Madrid ausgerufenen katalanischen Wahlen am 21. Dezember die stärkste Kraft im Unabhängigkeitslager. Die ERC hat diesen Schlag bis heute nicht verdaut. Die Partei sieht jetzt eine Chance, den Gegner endgültig loszuwerden, auch wenn dies den Weg zurück in den von Madrid diktierten Rechtsrahmen bedeutet.

Warten auf Torrent

Auch bei seiner eigenen Demokratischen Europäischen Partei Kataloniens (PdeCat) hat so mancher eine Rechnung mit dem Chef offen. Dieser hatte die Liste JxCat allein zusammengestellt. Er setzte dabei auf mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten. Parteigrößen waren nur wenige darunter. Diejenigen, die nach Jahren in der Politik ausgelassen wurden, tragen ihm das bis heute nach. Parlamentspräsident Torrent hat sich bisher noch nicht offiziell von seinem früheren Chef losgesagt: Er wolle auf das Ergebnis der Einsprüche vor dem Verfassungsgericht warten und überlege sich, selbst vorstellig zu werden, um eine Amtseinführung "mit allen Garantien" zu gewährleisten. Doch dazu wird es nicht kommen. Denn wie das Urteil in frühestens zehn Tagen aussehen wird, daran besteht kein Zweifel. Rajoy hat es verstanden, das Verfassungsgericht in seinem Sinne zu besetzen. Konservative Richter stellen die breite Mehrheit.

Nach der Veröffentlichung seiner Textnachrichten meldete sich Puigdemont am Mittwoch per Twitter zu Wort. "Ich bin auch nur ein Mensch, und es gibt Zeiten, in denen auch ich zweifle", entschuldigte er sich. "Aber ich bin auch der Präsident, und ich werde nicht zurückweichen aus Respekt, Dank und Verpflichtung gegenüber den Bürgern und dem Land. Wir machen weiter!", fügt er hinzu. (Reiner Wandler aus Madrid, 1.2.2018)