Donald Trump (im Hintergrund Vizepräsident Mike Pence und "Speaker" Paul Ryan, v. li.) kann sich durchaus auch staatsmännisch geben – solange er sich an den vorbereiteten Redetext hält.

Foto: APA/AFP/POOL/WIN MCNAMEE

Billy Long sitzt schon im Saal, um auf "seinen" Präsidenten zu warten, da hat Donald Trump im Weißen Haus noch kaum das Mittagessen verdaut. Der Abgeordnete aus Missouri hat es sich bequem gemacht, gleich links vom Mittelgang, der die Sitzreihen des Repräsentantenhauses trennt. Vierte Reihe von vorn.

Es ist erst 14 Uhr – noch sieben Stunden, ehe Trump ans Rednerpult tritt. Doch Long, einst Immobilienmakler, wird nicht mehr von seinem Platz weichen. Als der Präsident endlich erscheint und durchs Spalier geht, gibt er ihm einen euphorischen Klaps auf den Unterarm, dann greift er nach seiner Hand und schüttelt sie kräftig. Zur Rechten steht Eliot Engel bereit, um Gleiches zu tun. Long ist Republikaner, Engel Demokrat. Trump, früher eher Demokrat, heute Republikaner, genießt es sichtlich, das Bad in der Menge.

Hier können Sie Donald Trumps gesamte Rede von nachhören.
The White House

Schulterklopfen von allen Seiten, die Parteifarbe tritt kurz in den Hintergrund: Es ist ein Ritual, das sie mit Inbrunst pflegen im politisch sonst so zerrissenen Washington. Einmal im Jahr, wenn der Staatschef dem Kongress berichtet, wie er die Lage der Nation sieht, wollen sie vergessen lassen, welch tiefe Gräben sie an den restlichen 364 Tagen trennen. Parlamentstheater. Entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Auch bei Donald Trump.

Mit den Harmonieübungen ist es jedoch bald vorbei. Je länger der Präsident redet, umso klarer lassen sich die Fronten erkennen. Links die Republikaner, sie springen gefühlt nach jedem dritten Satz begeistert auf. Rechts die Demokraten, demonstrativ versteinerte Gesichter, manche durch Kleidungssymbole Widerspruch signalisierend. Schwarze Abgeordnete haben sich bunte Schals um den Hals gelegt, bedruckt mit Motiven aus Afrika, um deutlich zu machen, was sie von einem Präsidenten halten, der afrikanische Staaten neulich als Dreckslochländer beschimpfte. Einer von ihnen, Bennie Thompson aus Mississippi, hatte Trump demonstrativ den Rücken zugekehrt, als der an ihm vorbei zum Pult schritt. Etliche Frauen bei den Demokraten tragen Schwarz, ein Zeichen der Solidarität mit "MeToo".

"Im Laufe des vergangenen Jahres", sagt Trump, "haben wir unglaubliche Fortschritte gemacht und außergewöhnliche Erfolge erzielt." Links Beifallsstürme, rechts eisiges Schweigen und betretenes Augenrollen.

"Desaströses" Obamacare

Dann sagt Trump, man habe den Kern der "desaströsen" Gesundheitsreform Barack Obamas – die Pflicht zur Krankenversicherung – kassiert. Links dröhnender Applaus, rechts verzweifeltes Kopfschütteln. Vage skizziert Trump ein Billionen-Dollar-Programm zur Modernisierung der vielerorts maroden Infrastruktur. Und fügt hinzu, dass es neben staatlichen auch auf private Investitionen ankomme. Der Demokrat Joseph Crowley reibt Daumen und Zeigefinger gegeneinander und ruft. "Viel Geld für die Freunde!"

Dann listet der Mann am Pult stichwortartig auf, welche Kompromisse er anpeilt, um das Einwanderungsrecht zu reformieren. Für die "Dreamers", Kinder illegal Eingewanderter, sollen sich die Türen öffnen. Dafür bekommt Trump seine Mauer. Eine "große Mauer" an der Südgrenze werde man bauen, betont er, bevor er für einen Kurswechsel plädiert. Für ein Ende dessen, was er "Kettenmigration" nennt. Heute könne ein einziger Immigrant eine praktisch unbegrenzte Zahl entfernter Verwandter nachholen, behauptet er, und diesmal werden in der Opposition Buhrufe laut, eigentlich ein Tabu bei einer "State of the Union Address".

Und sonst? Die Augen des Präsidenten, der nur in Fahrt kommt, wenn er improvisieren kann, kleben förmlich am Teleprompter. Keine Poltereinlagen, stilistisch gibt er den Staatsmann. In dem Versuch, optimistisch zu klingen wie einst Ronald Reagan, beschwört er einen "neuen amerikanischen Moment".

Anleihen bei Bush

In den – eher spärlichen – außenpolitischen Passagen ist alles dem Leitgedanken untergeordnet, dass sich Amerika wieder seiner Stärke bedient. Angesichts nordkoreanischer Atom- und Raketentests, betont Trump, werde er die Fehler seiner Vorgänger – "Nachlässigkeit und Nachgiebigkeit" – nicht wiederholen.

Als es um den Kampf gegen den Terror geht, holt er einen Begriff George W. Bushs aus der semantischen Rumpelkammer. Um zu begründen, warum in Guantánamo die Regeln des Rechtsstaats nicht gelten sollten, hatte der 43. US-Präsident die Gefangenen dort als feindliche Kombattanten bezeichnet. Die Nummer 45 knüpft daran an. Terroristen, sagt er, seien nicht einfach Kriminelle, sondern gesetzlose feindliche Kombattanten. Obamas vergebliche Versuche, das Lager auf Kuba zu schließen, erklärt er offiziell für beendet: Er habe seinen Verteidigungsminister James Mattis angewiesen, die Haftanstalt offenzuhalten.

Als er den Saal verlässt, wartet Billy Long einmal mehr auf seinen Moment. Er hält Trump einen Stift unter die Nase, klappt ein Buch auf und bittet um ein Autogramm. Der Titel: "Great Again". 209 Seiten, gedruckt in Wahlkampfzeiten. (Frank Herrmann aus Washington, 31.1.2018)