München – Beim ersten ganztägigen Warnstreik in der Geschichte der Metall- und Elektroindustrie hat die IG Metall am Mittwoch deutschlandweit die Produktion in zahlreichen Unternehmen lahmgelegt. Bis zum Nachmittag hätten sich 68.000 Beschäftigte in mehr als 80 Betrieben an den Ausständen beteiligt, teilte die Gewerkschaft in Frankfurt mit. Allein 15.000 Metaller zählte die Gewerkschaft in Bayern.

In Bayern war besonders der Lkw-Bauer MAN Truck & Bus mit Werken in München und Nürnberg, der Zulieferer ZF in Passau und Linde in Kahl betroffen. In Baden-Württemberg, wo am Wochenende die Verhandlungen mit den Arbeitgebern abgebrochen worden waren, beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben bis zum frühen Nachmittag mehr als 14.500 Beschäftigte an den Ausständen, darunter bei ZF in Friedrichshafen, Heidelberger Druck und anderen Firmen.

Während der erneuten Warnstreikwelle sollten die Gespräche der Tarifparteien auf Eis liegen. Ein Sprecher des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall erklärte, am kommenden Wochenende werde es keinen Termin für die dann sechste Verhandlungsrunde geben.

Öl ins Feuer der Tarifauseinandersetzung

Gewerkschaftschef Jörg Hofmann warf den Arbeitgebern bei einer Kundgebung in Esslingen vor, mit den Klagen gegen die Tagesstreiks Öl ins Feuer der Tarifauseinandersetzung zu gießen. "Aber wir lassen uns durch juristische Nebelkerzen nicht abschrecken. Das zeigt die starke Beteiligung an den heutigen Warnstreiks ganz deutlich." Hofmann bekräftigte zugleich die Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen. Unser Ziel sei weiterhin ein Ergebnis ohne Flächenstreiks. Eine Lösung werde es aber nur geben, wenn die Arbeitgeber bei allen drei Forderungen nachlegten: beim Geld, beim Anspruch auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung und einem Zuschuss für Beschäftigte mit besonderer familiärer oder beruflicher Belastung.

Dieser von der IG Metall verlangte Teillohnausgleich ist einer der Hauptstreitpunkte in der Tarifrunde und war mit ein Grund, warum die Verhandlungen im Südwesten steckenblieben. Nach dem Willen der Gewerkschaft sollen alle Beschäftigte das Recht auf eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 28 Wochenstunden bekommen. Diejenigen, die für Kinder sorgen oder Angehörige pflegen, sowie manche Schichtarbeiter sollten die Tariferhöhung auch teilweise in Freizeit umwandeln können.

Lohnausgleich abgelehnt

Die Arbeitgeber lehnen einen Lohnausgleich ab. Sie argumentieren damit, dass andere Mitarbeiter, die bereits in Teilzeit sind, dann schlechter gestellt wären. "Das wäre ungerecht, und eine Diskriminierung", erklärte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger. Für eine rechtswidrige Forderung dürfe die Gewerkschaft nicht streiken, begründen die Arbeitgeber ihre Klagen bei mehreren Arbeitsgerichten. Allein das Arbeitsgericht Frankfurt zählte sieben Klagen von Arbeitgeberbezirken.

Hofmann drohte mit einem Arbeitskampf, sollten die Arbeitgeber nicht bald eine Rückkehr an den Verhandlungstisch signalisieren. "Dann sind wir an einer Stufe, wo die IG Metall sich entscheiden muss, in die Urabstimmung in einzelnen Regionen zu gehen und in den unbefristeten Flächenstreik", sagte er bei "Tagesschau24". Allerdings hatten Arbeitgeber und Gewerkschaft schon länger verabredet, auch nach einer Verschärfung der Warnstreiks noch einen Einigungsversuch zu unternehmen. In Verhandlungskreisen hieß es, wahrscheinlich setzten sich die Unterhändler in Baden-Württemberg Anfang nächster Woche wieder an den Tisch.

"Mitgliederwerbemaßnahmen"

Gesamtmetall hielt der IG Metall vor, die Tagesstreiks als "Mitgliederwerbemaßnahmen" lange im Voraus geplant zu haben. Dies habe mit dem Stand der Verhandlungen nichts zu tun. Dulger bekräftigte den Willen zum Kompromiss: "Wir sind Einigungsbereit – und fähig", betonte er. "Wir wollen so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch." Das sei im Interesse der Unternehmen, der IG Metall, der Beschäftigten und des Standortes.

Die Unternehmen befürchten wegen der starken Vernetzung und internationalen Lieferbeziehungen einen hohen wirtschaftlichen Schaden durch die Arbeitsniederlegungen. Die normalen Warnstreiks seien schon schlimm genug gewesen. Was die IG Metall nun jedoch anrichte, sei nicht akzeptabel.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt den Schaden allein in der Metall- und Elektroindustrie auf 60 bis 90 Millionen Euro am Tag – je nach Größe der Unternehmen, die von Tagesstreiks betroffen seien. Hinzu kämen womöglich noch Folgen in anderen Branchen, wenn es dort ebenfalls zu Produktionsausfällen komme. Als Beispiel nannte Tarifexperte Hagen Lesch die Textilindustrie, wenn von den Autobauern keine Sitzbezüge abgenommen würden. (APA, Reuters, 31.1.2018)