Werbeinlage für Ungarns Wirtschaft auf einer Agrarmesse.

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Wien – "Die Karawane zieht nicht mehr in Richtung Österreich", sagt Peter, der eine große Personalvermittleragentur in Ungarn leitet und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Tausende Menschen finden über sein Unternehmen neue Jobs. Früher bestand Peters Geschäft darin, Menschen aus Ungarn nach Österreich zu vermitteln, vor allem Facharbeiter waren gefragt.

Das hat sich geändert. Der ungarischen Industrie fehlen inzwischen selbst Arbeiter, erzählt Peter, vor allem Facharbeiter wie Schlosser, Elektriker und Installateure seien kaum zu finden.

Peters Arbeit besteht inzwischen vor allem darin, in der Ukraine oder in Serbien nach Fachkräften zu suchen. Und seine Firma wirbt im Osten des Landes, wo die Arbeitslosigkeit noch höher ist, um Menschen, die bereit sind, in den Westen umzuziehen, wo sich die großen Produktionsstätten von Audi und Daimler befinden.

Im neunten Jahr unter Orbán

Ungarn, im neunten Jahr unter der Alleinregierung der rechtskonservativen Fidesz, durchlebt einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung. Vier Prozent betrug das Wachstum 2017, heuer dürfte es ähnlich gut laufen. Die Arbeitslosenquote ist die viertniedrigste in der EU.

Gute Wirtschaftsdaten, Anhebung des Mindestlohns und Arbeitskräftemangel haben dazu geführt, dass die Bruttolöhne enorm steigen. 2016 bis 2018 dürften die Gehälter im Schnitt um 30 Prozent zulegen, so Experten des unabhängigen Thinktanks Kopint-Tárki in Budapest.

Den Erfolg versucht die Fidesz unter Premier Viktor Orbán für sich zu reklamieren, umso mehr, als im April Wahlen sind. Die Wahrheit ist komplexer. Vor Beginn des Aufschwungs durchlief Ungarns Wirtschaft eine zehnjährige Trockenperiode. Das Land war fast pleite, Löhne stagnierten.

Der späte Aufschwung

Nimmt man die Langzeitbetrachtung seit 2005, waren die Lohnsteigerungen in Rumänien, Bulgarien und der Slowakei kräftiger als in Ungarn. Der jetzige Aufschwung sei umso stärker, weil die Krise das Land so lange im Griff gehabt habe, sagt der Ökonom Sándor Richter vom Osteuropainstitut WIIW in Wien.

Laut ihm sorgen vor allem äußere Faktoren dafür, dass es gut läuft. So wird die Regierung in Budapest 2018 wie schon 2017 hohe Auszahlungen aus dem EU-Budget nutzen. Ein guter Teil der Gelder, die dem Land von 2014 bis 2020 zustehen, sind verbraucht.

Dass diese Mittel, wenn sie in den Ausbau von Straßen investiert werden, das Wachstum anfachen, ist beabsichtigt – dazu sind Förderungen da. Nach 2018, wenn die Geldquellen versiegen, werde sich das Wachstumstempo verlangsamen.

Die Banken und der Boom

Die EU-weit starke Konjunktur helfe Ungarn ebenfalls, meint Ökonom Richter. Ein Orbán-spezifischer Faktor für diese Entwicklung betrifft den Bankensektor. Die Ungarn hatten sich vor der Wirtschaftskrise oft über Fremdwährungen verschuldet, Österreichs Banken haben den Boom angefacht. Die Regierung hat aufgeräumt und die Kosten zwischen Staat, Banken und Bürgern zwangsgeteilt. Das habe die Konsumenten entlastet und dem Wirtschaftsstandort genützt, sagt Éva Palócz, Leiterin von Kopint-Tárki.

Kehrseite: Ungarn hat mit 27 Prozent die höchste Mehrwertsteuer in der EU. Diese Belastung trifft Ärmere, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens prompt ausgeben. Der Arbeitskräftemangel könnte dazu führen, dass die Industrie bald eine Kapazitätsgrenze erreicht.

Palócz kritisiert zudem die verbreitete Korruption: Bei der öffentlichen Auftragsvergabe sei es eine Gruppe von ein bis zwei Dutzend Unternehmern, die regelmäßig zum Zug komme – meist stünden diese der Fidesz nahe.

Zudem habe die Regierung mehrmals zugunsten wohlmeinender Unternehmer Gesetze geändert. Das hält andere Konzerne davon ab zu investieren. Orbán hat die Steuern gesenkt, der Tarif für Unternehmen liegt bei neun Prozent. Die Sozialversicherungsabgaben für Arbeitgeber wurden reduziert.

Das Budget sei dennoch solide, sagt Palócz. Wie das geht? Die Einnahmen des Staates erhöhten sich durch einen verstärkten Kampf gegen Steuerbetrug, so Palócz, zugleich gab es kräftige Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. (András Szigetvari, 30.1.2018)