Bregenz – Ziegelwände wachsen durch die Decken des Bregenzer Kunsthauses. Simon Fujiwara (36) hat ein Haus in das Haus gesetzt. Ein besonderes Haus, das Anne-Frank-Haus. Der Brite hat eine Ikone der Erinnerungskultur nachgebaut, das Amsterdamer Hinterhaus steht nun detailgetreu als dreigeschoßige Skulptur im Glasbau von Peter Zumthor. Ein Museum im Museum. Hope House nennt Fujiwara sein Werk.

Klein sind die Räume, eng die Gänge und steil die Treppen. Wie im Versteck der Familie Frank. Ziegelwerk, Holztüren, altes Mobiliar. Doch: Vorbild für den Nachbau war nicht das Haus, sondern ein Bausatz aus Karton, den Fujiwara im Amsterdamer Museumsshop erstanden hatte. "Das Anne-Frank-Haus um 12 Euro 50, zum Nachbauen, noch dazu mit der Möglichkeit, das Haus zu verändern", das habe ihn sehr irritiert, sagt Simon Fujiwara. Und zur Kopie der Kopie inspiriert. Original oder Schein? Lüge, Täuschung, Spiel? Die Ambivalenz von Wahrheit und Fälschung, von Gegenwart und Vergangenheit sind Themen in seinen Werken.

Grundlegende Fragen

Es geht ihm nicht darum, ein historisches Gebäude und das damit verbundene Narrativ zu transferieren. Er wirft grundlegende Fragen auf. Fragen unserer Konsumkultur, der gedanken- und grenzenlosen Vermarktung. Was uns Simon Fujiwara dort zeigt, sind Marketingstrategien. Auch seine. Denn das Hope House ist auch Galerie für seine wichtigsten Werke.

Das Haus spiegelt die Konsumwelt einer kapitalistischen Gesellschaft mit moralischer Attitüde. 1,7 Millionen Menschen besuchen jährlich das Versteck der Anne Frank. Die Erinnerung an das jüdische Mädchen wird nach allen Regeln der Marketingkunst kommerzialisiert. Ob das gut oder schlecht ist, lässt Fujiwara offen. Antworten sind nicht seine Sache. Er schickt sein Publikum ins Spiegelkabinett.

Wer Anne Frank in Bregenz besucht, landet im Shop der Widersprüche. 50 Shades of Grey findet man in x-facher Ausführung im Bücherregal, junge Menschen schildern auf Video tragische Erfahrungen, Charity-Projekte zum politisch korrekten Konsum werden präsentiert. Fujiwara füllt das Haus mit Kunst- und Alltagsgegenständen, die er selbst gefertigt oder gesammelt hat. Das Anne-Frank-Haus wird zur aufgeschnittenen Hülle für ein Shop-in-Shop-System, das Warehouse wird zum Warenhaus der Fantasie.

Fujiwara zeigt am Beispiel prominenter Gäste des Amsterdamer Hauses auf, wie Selbstvermarktung in Zeiten sozialer Medien funktioniert. Wer bei Anne Frank zu Besuch war, lässt das die Welt über virtuelle Bilderbücher wie Facebook oder Instagram wissen. Zum Beispiel Beyoncé: Die Sängerin trug bei ihrem Besuch einen himmelblauen Anzug. Sie stellte Fotos der Visite auf Instagram, das Outfit aus einer Billigkette war in kurzer Zeit weltweit ausverkauft. Was geht da ab in unserer Bilderwelt?

Auf eine Frage gibt Fujiwara eine klare Antwort. Warum sieht Angela Merkel auf Bild und Bildschirm immer gleich aus? Die Lösung: Sie verwendet eine eigens für sie gemischte Foundation, die bei HD-Auflösung natürliches Aussehen verleiht. Das Make-up ist in Rohform als Puderhaufen zu sehen und in subtiler Verarbeitung des Künstlers auf Leinwand. (Jutta Berger, 31.1.2018)