1992 flimmerte zum ersten Mal Walter Wippersbergs Mockumentary "Das Fest des Huhnes" über die Fernsehbildschirme Österreichs. Ob dem am 31. Jänner 2016 verstorbenen, oberösterreichischen Regisseur damals bewusst war, dass er nicht nur einen Klassiker des österreichischen Fernsehens, sondern obendrein das wohl unterhaltsamste Lehrstück für Studierende der Ethnologie und Religionswissenschaft schaffen würde, ist fraglich. Im Zentrum seines Films steht der zentralafrikanische Forscher Kayonga Kagame, der gemeinsam mit seinem Team für das fiktive "All African Television" die rätselhaften Sitten und Gebräuche der oberösterreichischen Stämme studiert.

Wippersberg parodiert in seinem Film nicht nur das Genre der ethnologischen Reiseberichte selbst, indem er deren Vorurteile und Schwachstellen aufdeckt. Vor allem dekonstruiert er konsequent den Blick der Forschung auf fremde Kulturen und deckt dabei auf, zu welchen Missinterpretationen und Wertungen dieser durch den eigenen Denkhorizont geprägte Blick führen kann. Dabei bezieht er sich indirekt auf zahlreiche Klassiker der Ethnologie und – im weiteren Sinne – Religionsforschung, von Bronislaw Malinowski über Edward B. Tylor bis hin zu Sigmund Freud.

Kagame besucht ein Zeltfest im "primitiven" Oberösterreich.
Foto: Screenshot/Youtube

Das rätselhafte und unberührte Oberösterreich

Zu Beginn des Films erläutert Kayonga Kagame (Frank Oladeinde) warum die Wahl für das Forschungsgebiet diesmal auf das ferne Oberösterreich gefallen sei: Es handle sich bei den Oberösterreichern um ein besonders abgeschiedenes und noch wenig erkundetes Volk, dem sich die afrikanische Forschung noch kaum angenommen habe. Demnach bestehe hier noch die Hoffnung, auf ursprüngliche, ja unverfälschte alpenländische Bräuche zu stoßen. Auch wenn die zähen und erdverbundenen – man wäre oftmals auch verleitet "primitiven" zu sagen – Oberösterreicher nicht über eine eigentliche Kultur im afrikanischen Sinne verfügen, dürfe man sie und ihre Sitten nicht geringschätzen.

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Die komplette Mockumentary "Das Fest des Huhnes".

Zunächst fällt es Kagame und seinem Team nicht leicht, in die Denkwelten der eingeborenen Stämme im fernen Oberösterreich einzudringen. Besonders die religiösen Bräuche der Indigenen werfen viele Fragen auf. So beobachten die Forscher, dass die großen steinernen Kulthäuser, in denen das sogenannte Christentum – eine schwer verständliche, als Monotheismus getarnte polytheistische Sekte – praktiziert wird, leer stehen. Stattdessen strömen die Oberösterreicher scharenweise in große Zelte. Darin verzehren sie des Abends gemeinschaftlich gebratenes Huhn und vor allem große Mengen jenes bitter schmeckenden, stark schäumenden Weizengetränks, das man auch in Afrika unter dem Namen "Bier" kennt. Aber was bedeuten diese Treffen? Die Eingeborenen hüllen sich in Schweigen und sprechen den ekstatischen Zusammenkünften jede tiefere Bedeutung ab.

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Ab Minute 36:05 erforscht Kagame das seltsame Treiben in den öberösterreichischen Zelten.  

Für den scharfsinnigen Ethnologen ist spätestens hier klar, dass es sich um einen besonders sakralen Kult handeln muss. Schließlich sind es genau die wichtigsten Bräuche, welche die Indigenen vor den Augen und damit dem Einfluss der Fremden geheim zu halten versuchen. Zu guter Letzt gelingt es Kagame aber dennoch die einzelnen Puzzleteile der rätselhaften Kultur zusammenzufügen, um schließlich darin nichts Geringeres als einen religiösen Paradigmenwechsel zu erkennen: Die ekstatischen Zusammenkünfte in den großen Zelten sind Ausdruck eines Totemkults, in dessen Zentrum das Huhn steht. Das Huhn wird gemeinschaftlich verspeist, um sich die Gottheit einzuverleiben, ähnlich wie man das auch aus der afrikanischen Vergangenheit kennt. Als letztes Beweisstück für diese revolutionäre Entdeckung dient ein seltsamer Tanz der Eingeborenen, in dem sie die Gottheit in Gestalt des Huhnes nachahmen: Der Hühnertanz als Imitatio Dei. Damit wäre also ein weiterer schwarzer Fleck auf der ethnologischen Landkarte aufgedeckt.

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Ab 53:06 gibt es Einblicke in die Verehrung des Huhnes als Gott: Der Hühnertanz als Imitatio Dei. 

Die Dekonstruktion des fremden Blicks

Eine der großen Besonderheiten von "Das Fest des Huhnes" liegt zweifelsohne in dessen Vielschichtigkeit. Zahlreiche verschiedene Ebenen der Gesellschafts- und Wissenschaftskritik werden darin sichtbar und sind eng miteinander verwoben. Besonders offenkundig ist die Abrechnung Wippersbergs mit der klassischen Ethnologie und Religionsforschung. So parodiert der Film etwa durch die Überinterpretation des Bierzeltes durch die Forscher die oft allzu gängige Annahme, alle "primitiven" Kulturen seien geradezu magiebesessen und alles könne und müsse in diesem Rahmen interpretiert werden.

Vielmehr noch unterzieht der Film jedoch ebendiese Kategorienbildungen der Zivilisierten und der "Primitiven", des Eigenen und des Fremden, einer schonungslosen Kritik, indem er sie schlichtweg umkehrt und dadurch ihre Lächerlichkeit aufzeigt. Damit einher geht noch eine weitere gängige Annahme im Umgang mit außereuropäischen Kulturen, die Wippersberg parodiert: Nämlich ganz grundlegend jene einer reinen, unverfälschten territorial verwurzelten Kultur, die sich dem Beobachter als kohärentes System erschließt. Es ist der Topos der Edlen Wilden, der letzten Endes viel mehr über die Beobachter und deren Erwartungen aussagt als über die Beobachteten, auf welche diese projiziert werden. (Kathrin Trattner, 31.1.2018)