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Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz als einen der ersten Gäste Ungarns Premier Viktor Orbán empfängt, hat das unweigerlich Symbolcharakter.

Foto: AP/Ronald Zak

Viktor Orbán, ungarischer Premier und stolzer Verfechter der von ihm selbst propagierten "illiberalen Demokratie", hat seinen Platz in Europa gefunden. Durchaus nicht ohne Absicht hat er sich zum Gottseibeiuns des liberalen, weltoffenen Bürgertums stilisiert, das auf Wahrung des Rechtsstaats und auf politische Transparenz Wert legt. Das gilt nicht nur in Ungarn selbst, sondern praktisch überall in der EU.

Wenn Orbán am Dienstag in Wien Bundeskanzler Sebastian Kurz und wohl auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache trifft, ist internationale Aufmerksamkeit daher garantiert. Auch durch das derzeitige Machtvakuum in Berlin und den damit einhergehenden Stillstand bei den EU-Reformideen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist der europapolitische Fokus zuletzt nach Mitteleuropa gerückt.

Wien als möglicher Partner der "V4"

Wie sich die vier Visegrád-Staaten – neben Ungarn sind das Polen, Tschechien und die Slowakei – in grundsätzlichen Fragen positionieren, ist sattsam bekannt: Sie wollen weniger Europa, mehr Nationalstaat und eine restriktive Flüchtlingspolitik. Daher brennt vielen die Frage unter den Nägeln, inwieweit die "V4" nun auf einen Partner in Wien zählen können, wo vor allem die neue Regierungspartei FPÖ ähnliche Werte vertritt – und wo auch ÖVP-Chef Kurz mit seiner Migrationspolitik in freiheitlichen Gewässern fischen konnte.

Die Wiener Besuchsdiplomatie übt derzeit den ganz großen Spagat: Kurz flog noch vor der Vorstellung des Regierungsprogramms nach Brüssel und sandte damit ein klares Signal für einen Verbleib Österreichs im Kern Europas aus. Danach aber war es der von der FPÖ nominierten Außenministerin Karin Kneissl vorbehalten, ihre erste Auslandsreise in die Slowakei anzutreten. Sie begründete ihre Wahl mit der geografischen Nähe und den sich daraus quasi automatisch ergebenden Gesprächsthemen. Von einer Geste Richtung Osteuropa wollte Kneissl nichts wissen.

Heikle Themen ansprechen

Auf die Dauer jedoch wird es nicht glaubwürdig sein, nach Westen lautstarke Signale auszusenden und gleichzeitig unterschwellige Symbolpolitik Richtung Osten zu betreiben. Es ist auch gar nicht nötig. Wenn Kurz sich als Brückenbauer positionieren und deshalb Kontakte in alle Richtungen pflegen will, dann ist das keine Schande. Er müsste dann aber beim Besuch Orbáns auch jene Fragen ansprechen, mit denen Budapest derzeit den liberalen Grundkonsens Europas infrage stellt und sich vom Gedanken der europäischen Integration entfernt.

Umstrittene Verfassungsreformen, die Politisierung der Medienlandschaft oder die Stigmatisierung ausländischer NGOs samt antisemitisch konnotierter Kampagne gegen den liberalen US-Milliardär George Soros sind Auswüchse der "illiberalen Demokratie", die in Europa schon deshalb nichts zu suchen hat, weil sie nicht demokratisch ist. Bilaterale Konfliktthemen wie die Kürzung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder oder der Ausbau des ungarischen Atomkraftwerks Paks werden als Beispiele für Wiens Bereitschaft zum Dissens daher nicht ausreichen.

Wenn Bundeskanzler Kurz als einen der ersten Gäste ausgerechnet Orbán empfängt, dann hat das unweigerlich Symbolcharakter. Kurz sollte dazu stehen und auch Themen auf den Tisch legen, die in Europa mit Sorge betrachtet werden. Andernfalls kommt er als Brückenbauer nicht infrage. (Gerald Schubert, 30.1.2018)