Peter Turrinis neues Stück ist eines sicher nicht: ein Stück über Flüchtlinge. Fremdenzimmer führt vielmehr hinein in das österreichische Wohnzimmer, wo es an Friede, Freude und Eierkuchen mitunter ja mangeln kann. Zumindest bei Herta (Ulli Maier) und Gustl (Erwin Steinhauer), die eines Tages, man weiß gar nicht genau wie und warum, einen jungen Syrer in ihrer Wohnung vorfinden. "Sowas kann ich nicht brauchen", lautet die Begrüßung. Für Gastfreundschaft sind eben andere bekannt.

Turrinis verhärteter Bruchpilot Gustl (Erwin Steinhauer, Mi.) mit Co-Piloten (Ulli Maier; Tamim Fattal, re.).
Foto: Herbert Neubauer

In Herbert Föttingers feiner Regie der Uraufführung ist Samir (Tamim Fattal) klischeehaft zugeschnitten auf den prototypischen Flüchtling, wie er medial zugerichtet wird: männlich, jung, nackter Oberkörper, angstgeweitete Augen und stumm, weil ohne Deutschkenntnisse. Dieses nicht unproblematische Framing rechtfertigt sich einzig und allein dadurch, dass die Figur Samirs grundsätzlich als Leerstelle konzipiert ist. Es geht nicht um ihn, sondern darum, was sein Auftauchen in Gang setzt.

Schnell geschnittene Szenen

Turrini holt in kurzen, im Theater in der Josefstadt mittels Blenden schnell geschnittenen Szenen aus, um den tief sitzenden Frust einer sich abgehängt fühlenden Bevölkerung heraufzubeschwören. Dieser reicht von der österreichischen Beleidigtheit über den Verlust eines kaiserliches Großreichs bis hin zum Bedauern, die eigenen Träume im Leben nicht so ganz verwirklicht zu haben. Und jetzt wollen auch noch die Flüchtlinge was?!

Den Tonfall der zwideren, paranoid-verstockten Österreicher beherrscht Peter Turrini meisterhaft. Die Dialoge sind ein knapper, brutaler Hickhack, indes unterströmt von einer doch erahnbaren Menschenliebe, die meterdick verschüttet liegen muss vom belastenden Leben vieler Jahrzehnte. Manchmal dringt dieses Menschsein durch und wird Musik (The winner takes it all oder Diandle, geh her zan Zaun).

Hassliebe zu Österreich

Für den zum Zuhörer erklärten Geflüchteten interessieren sich Herta und Gustl nur bedingt, mehr für die eigenen Probleme, in denen sie knietief waten: mangelnde Liebe, Alkohol, hoher Blutdruck, ein verlorenes Kind. Und natürlich die Hassliebe zu Österreich und zur österreichischen Post, bei der Gustl einmal Briefträger war, bevor er in Frührente geschickt wurde. Auch da hat die Würde noch einmal Schaden genommen.

JosefstadtTheater

Turrini legt es in seinem Volksstück in Wahrheit auf ein Märchen im Sinne Jura Soyfers an. Denn Herta und Gustl mutieren im Beisein Samirs mehr und mehr von vermeintlichen Ausländerfeinden zu Adoptiveltern mit Zuneigung. Typisch österreichisch. Haben sie sich anfangs noch zu paranoiden Bemerkungen hinreißen lassen, von wegen arabische Männer seien "Samenschleudern" oder es gäbe bald nur mehr Turbane beim Bundesheer, so bekommt die Untergangsangst allmählich realistischere Züge. Am Ende bemühen sie gar eine Art deus ex machina der Luftfahrt.

Panik von Innen

Die Panik kommt nicht von Samir, sondern von innen. Herta kämpft täglich gegen den tief in ihr vergraben Schmerz über den verlorenen Sohn an. Und Gustl, der verhärtete Bruchpilot, hat seinerseits selbst manchmal Lust, mit einem B52-Bomber über die Stadt zu fliegen und – etwa über der Post – eine Bombe fallen zu lassen. Ulli Maier und Erwin Steinhauer, zwei Spitzenschauspieler, zeigen das Paar dabei so anrührend wie schonungslos in seiner Verbohrtheit.

An Turrinis niet- und nagelfestem Stück gab es für die Regie wenig herumzudoktern, wenngleich Föttinger auf der bis zur Feuermauer leeren Spielfläche immer wieder grazile, dem Tableau dienliche Striche gesetzt hat. "Europa hat kein Herz mehr, keinen Rhythmus" ist einer der Schlüsselsätze des Abends, den Gustl – so viel Spaß ist in diesem Volksstück Pflicht – von der eigenen, persönlichen Gesundheit, nämlich den horriblen Blutdruckwerten ableitet. Während das Messgerät beim kraftstrotzenden Samir blendende Werte ausspuckt, schlägt es bei Gustl Alarm. "Blutdruck – das ist der Untergang!" Früher oder später wird er da recht behalten. Es folgte herzlicher Applaus. (Margarete Affenzeller, 26.1.2018)