Die von Zheng Xi entworfenen Sticker gegen sexuelle Belästigung wurden zum Logo der #MeToo-Bewegung in China.

Foto: Zheng Xi

Ein Mädchen kauert nackt in der Ecke eines Treppenaufgangs. Das Foto, das sich rasch über Online-Freundeskreise im Wechat, also Chinas Whatsapp, verbreitete, war eine Einladung an Studenten zum "Spaziergang gegen sexuelle Belästigung". Am vergangenen Sonntag um 13.30 Uhr sollte der Marsch von der Pekinger Universität für Raumfahrt losgehen und über die Filmakademie zur Hochschule für Außenhandel führen. Ein QR-Code stand als Absender, hinter dem sich die chinesische Webseite Jianshu auftat. Dort verlor sich die Suche nach den Organisatoren oder weiteren Angaben zum "Spaziergang".

Lange vor der angegebenen Zeit parkten vor der Raumfahrt-Uni ein halbes Dutzend weiße Polizeivans und viele Streifenwagen, um die unerlaubte Demonstration abzufangen. Auf dem Campus lungerten Zivilbeamte und Sicherheitspersonal. Doch die Polizei wartete auf ein Phantom. Offenbar waren sie einem Internet-Scoop auf den Leim gegangen, mit dem Pekinger Feministinnen die Öffentlichkeit aufrütteln wollten.

Die #MeToo-Bewegung steht weiter auf der Tagesordnung, auch wenn Staat, Polizei und Zensur ihre anfängliche Toleranz abgelegt haben. Nervöse Behörden dulden in China nicht einmal einen Spaziergang, geschweige denn Demonstrationen.

74 Hochschulen fordern Verhaltenskodex

Die drei renommierten Hochschulen sind Symbolstätten der chinesischen #MeToo-Bewegung. Die Hochschule für Raumfahrt machte den Anfang: Am 15. Oktober, als in den USA die Frauen auf die Barrikaden gingen, erinnerte sich die dort lebende ehemalige Dokorandin Luo Qianqian an einen zehn Jahre zurückliegenden Vorfall in Peking. Ihr damaliger Doktorvater hatte versucht, sie zu vergewaltigen. Als sie das online aufschrieb, meldeten sich weitere Opfer des Professors.

Er ist kein Einzelfall. Das Netz verbreitete neue Fälle in anderen Universitäten. Inzwischen rufen 74 Hochschulen in China nach einem Verhaltens- und Strafkodex gegen sexuelle Belästigung in der Ausbildung. Auch das Erziehungsministerium will das unterstützen. Der namentlich gebrandmarkte Professor Chen wurde suspendiert, von der Universität am 11. Jänner entlassen, die Lehrerlaubnis aberkannt.

Aussagen der Opfer gelöscht

Seit Mitte Jänner versuchen Zensurbehörden weitere Enthüllungen zu unterdrücken. Selbst die parteitreue "Global Times" kritisierte am Freitag, dass Äußerungen von "Opfern sexueller Belästigungen gelöscht und sie auch noch bedroht werden". Ein am Sonntag von der Nachrichtenagentur Pengpai veröffentlichtes Manifest, in dem 56 Hochschullehrer mehr Schutz für Frauen fordern, wurde aus dem Netz entfernt. Bei Unterschriftenlisten sehen Chinas Behörden rot.

Doch die Bloggerinnen entziehen sich erfindungsreich den Zensoren. In ihren Chats umgehen sie Reizwörter. So verwenden sie als lautähnlichen Ersatz für #MeToo eine Zeichenkombination aus "Reis" (Mi) und "Hase" (Tu). Der neue Blog Reis-Hase in China hatte bis Mittwochabend über eine Million Clicks.

Die 30-jährige Doktorandin Zheng Xi entwarf mit einer Freundin das Online-Logo "Keine Belästigung", das auf das eigene Selfie gepostet werden kann. Den individualisierten Massenaufruf können Zensoren nicht stoppen.

"Fünf Schwestern" verhaftet

Unvergessen ist, wie übel die chinesische Polizei den weltbekannt gewordenen "fünf Schwestern" mitspielte. Die Feministinnen wollten 2015 Flugblätter gegen sexuelle Belästigung durch Grapscher in U-Bahnen verteilen. Dafür wurden sie 37 Tage lang eingesperrt, erst nach internationalem Aufschrei kamen sie frei.

Feministin Zheng will "auf indirektem Weg" versuchen, ihr Anliegen voranzubringen, und begann einen Marsch durch die Institutionen: Ende Jänner tagen in China die regionalen Parlamente. Zheng hat Provinzabgeordnete angeschrieben mit der Bitte, im Parlament Anträge zu stellen. Sie will mit öffentlicher Zustimmung ihre Aufkleber gegen sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit anbringen. Bisher hat sie sechs Provinzen angeschrieben, zwölf Abgeordnete haben bis Mittwoch geantwortet. Sie wollen sie unterstützen. (Johnny Erling aus Peking, 26.1.2018)