Zum zweiten Mal innerhalb von sieben Monaten wurde dieser Tage ein rumänischer Ministerpräsident von der eigenen Partei gestürzt. Knapp ein Jahr nach den Parlamentswahlen, die die sozialdemokratische Partei (PSD) mit 45 Prozent klar gewonnen hat, herrscht im größten EU-Land Südosteuropas politisches Chaos. Beide Rücktritte wurden von massiven Protestdemonstrationen gegen die geplante Entschärfung der Strafgesetze bezüglich Korruptionsdelikte und Amtsmissbrauch begleitet. Staatspräsident Klaus Johannis und viele Richter und Staatsanwälte haben die offensichtlichen Bestrebungen zur Unterwanderung des Rechtsstaates kritisiert und auch das mahnende Beispiel des diesbezüglichen EU-Verfahrens gegen Polen angeführt.

Die bizarren und selbst in der von Korruptionsfällen geprägten Geschichte der postkommunistischen Staaten einmaligen Begleitumstände in Rumänien hängen mit dem Machtkampf innerhalb der sozialdemokratischen Führung zusammen. Bereits zwei frühere langjährige PSD-Regierungschefs (Adrian Nastase und Victor Ponta) waren in Bestechungsskandale verstrickt und wurden verurteilt bzw. angeklagt. Im Mittelpunkt steht diesmal der seit Mitte 2015 amtierende PSD-Parteivorsitzende, Parlamentspräsident und wohl mächtigste Mann Rumäniens, der 55-jährige Liviu Dragnea. Er ist wegen Wahlfälschung vorbestraft und konnte deswegen nicht Ministerpräsident werden. Gerade deshalb hatte er solche Figuren an die Spitze der Regierung gestellt, die ihn durch neue Regelungen vor dem Gefängnis retten sollten. Gegen ihn laufen indes mehrere Verfahren wegen EU-Subventionsbetruges. Mit anderen PDS-Politikern soll er als Verwaltungschef einer Region 21 Mio. Euro veruntreut haben.

Nachdem er sich mit den zwei von ihm eingesetzten Ministerpräsidenten zerstritten hatte, fand der mächtige Parteichef in der Person der bisherigen EU-Parlamentarierin und seiner früheren Mitarbeiterin Viorica Dancila eine ihm genehme, linientreue Kandidatin, die laut Dragnea "die Justizreform" immer unterstützt habe.

Die Wahl der ersten Frau an der Spitze einer rumänischen Regierung durch das Parlament, voraussichtlich am 29. Jänner, gilt als sicher, weil die Koalitionspartner der PSD, die Linksliberalen (Alde) und der Verband der ungarischen Minderheit (RMDSZ) die umstrittenen Justizprojekte unterstützen, zumal viele ihrer Politiker ebenfalls ins Visier der Korruptionsermittler geraten sind. Jede rumänische Regierung von Dragneas Gnaden habe nur eine Aufgabe: ihn vor einer Haftstrafe zu bewahren; so bleibe Rumänien die politische Geisel eines verurteilten Wahlfälschers, schrieb die Süddeutsche bereits im Juni nach dem Sturz des ersten gegenüber Dragnea "illoyalen" Regierungschefs Sorin Grindeanu. Jetzt folgte der jähe Abgang des von Dragnea vor sieben Monaten installierten Nachfolgers, Mihai Tudose.

Thomas Mann schrieb einmal, eine schändliche Wahrheit sei "auf lange Sicht besser als eine nützliche Lüge". Die PSD nennt sich sozialdemokratisch. In Wirklichkeit hat die herrschende, durch und durch korrupte, national-populistische Gruppe mit den Werten der sozialdemokratischen Bewegung nichts gemeinsam. (Paul Lendvai, 22.1.2018)