Die Zeit und das Zimmer: Rudolf Melichar, Irina Sulaver und Tino Hillebrand (v. re.) als Figuren in verschiedenen Lebensaltern

Foto: Georg Soulek

Wien – Das Eigenheim des 88-jährigen Gustin (Rudolf Melichar) würde jeder Pflegeeinrichtung, die auf sich hält, massiv Unehre einlegen. Ein schmaler, weißer Gang dient dem Greis als letzte Tages- und Nachtstätte. Ein Kellerfenster gewährt einen milchigen Ausblick. Eine freundliche, doch wenig fokussierte Gesellschafterin (Irina Sulaver) wirkt fremd in dem Pseudohospiz (Bühne: Sarah Sassen). Sie soll dem alten Mann dessen letzte Tage versüßen.

Im Burg-Vestibül sind die Zutaten für einen Generationenkonflikt eindrucksvoll bereitet. Gustin ist ein zäher Alter mit Gehhilfe, der mit allen Mitteln des Understatements, auch mit solchen der Galanterie, um die Empathie seiner Pflegerin wirbt. Doch in Wahrheit zieht das Drama Saturn kehrt zurück des US-Autors Noah Haidle (39) weitaus raumgreifendere Schleifen: hinaus in den Kosmos, in das spukschwarze All menschlicher Unzulänglichkeit.

Zweimal verjüngt

Denn Gustin kehrt zweimal verjüngt wieder. Als 58-jähriges Double seiner selbst (Peter Knaack) ist er ein schusseliger Witwer, der von seiner knapp 30-jährigen Tochter (wiederum Sulaver) zur Brautschau gedrängt wird. Zephyr – sie heißt wie der Westwind – ist der Sklavendienste bei ihrem egomanischen Erzeuger verständlicherweise überdrüssig.

Noch einmal 30 Jahre früher wirbt Jung-Gustin (Tino Hillebrand) um die Liebe seiner Loretta. Die tagsüber vereinsamte Ehefrau im Eigenheim ist ein Rätselwesen. Ihre unbegreifliche, von stiller Trauer erfüllte Schönheit gemahnt an eine antike Göttin, und auch unschuldige Küsse vermögen den Bann der Einsamkeit um sie nicht zu lösen.

Die rückläufige Erzählbewegung spielt virtuos mit dem Vorwissen des Publikums. Loretta wird bei der Geburt von Zephyr sterben. Die Tochter wird den Vater in Richtung Mexiko verlassen und zugrunde gehen. Vor allem aber spielt Sulaver mit herrlichem Understatement alle drei Frauenfiguren: eine Göttin Echo, die kaum zu artikulieren versteht, was sie der dreifachen Übermacht an männlicher Egozentrik entgegenzusetzen hat. Die aquarellfeine Inszenierung Sara Abbasis begnügt sich mit Stimmungstupfern hier, ein paar Bedeutungsklecksern dort. Knaacks selbstverliebtes Vatermonster, das der eigenen Tochter wohl in inzestuöser Laune zugetan ist, könnte direkt einer Botho-Strauß-Komödientragödie entsprungen sein.

Rätsel der Vereinsamung

Am Schluss, wenn Saturn nach dreißigjähriger Umlaufbahn an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt ist, bleibt alles wieder beim Alten. Das Rätsel der menschlichen Vereinsamung ist nicht zu lösen, es ist im Licht der säkularen Weltordnung nur immer neu zu stellen. Schnee fällt im Wintergarten. Figuren, die als Tote zu schattenhafter Weiterexistenz bestimmt sind, kommen im Kopf des wunderbar unterspielenden Alten (Melichar) allmählich zur Ruhe.

Diese Erstaufführung besitzt die wohltuende Fremdheit eines Brockens von einem Kometen – und atmet doch wohltuende Leichtigkeit. Ein wirkliches Kunststück; ein Autor, der als Drehbuchautor meisterhafte Dialoge schreibt und mit ewigen Fragen federleicht umzugehen versteht. (Ronald Pohl, 22.1.2018)