Martin Schulz und Andrea Nahles führen die SPD in Koalitionsverhandlungen.

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Am Leitantrag wurde bis zuletzt gefeilt, Proteste begleiteten den Auftakt.

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Bonn – Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Bonn eine sehr knappe Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen getroffen. Das Ergebnis per Handzeichen war am Sonntag so knapp, dass die Stimmen ausgezählt werden mussten. Schließlich stimmten 362 der 645 Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union, das entspricht 56,4 Prozent.

Zuvor hatten sich die 600 Delegierten über mehr als vier Stunden eine heftige Debatte über Ja oder Nein zu Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition geliefert.

Jusos gegen Groko

Während SPD-Chef Martin Schulz und weitere Mitglieder der Parteispitze für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen warben, stellten sich vor allem jüngere Delegierte dagegen.

"Es geht in diesen Tagen um viel", sagte Schulz in seiner Parteitagsrede. Er wandte sich gegen die besonders von den Jungsozialisten erhobene Forderung, auf keinen Fall in eine neue Regierung einzutreten. "Das ist nicht mein Weg, das ist nicht meine Haltung, dafür bin ich nicht in die Politik gegangen", sagte Schulz dazu. Die SPD müsse "mindestens ausloten, was an Verbesserungen für die Menschen in Deutschland und Europa erreichbar ist".

Nachdrücklich hob der SPD-Chef Erfolge in den Sondierungsverhandlungen hervor: die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, Verbesserungen bei der Pflege, "Grundrente" und Sicherung des Pensionsniveaus, "damit Menschen, die ihr Leben lang geackert haben, nicht im Alter von Armut bedroht werden". Ein "Leuchtturmprojekt" sei zudem die Bildungspolitik.

Bis zuletzt war um die Formulierungen für den Leitantrag gerungen worden. Vor allem der mächtige Landesverband Nordrhein-Westfalen verlangte, eine Regierungszusammenarbeit mit der Union von Nachbesserungen der Sondierungsergebnisse abhängig zu machen.

Schulz sieht Möglichkeit für Paradigmenwechsel

Zudem sei eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung die Voraussetzung für "einen Paradigmenwechsel in der Europapolitik", betonte Schulz. Daher "bitte ich Euch um Vertrauen". Er kündigte zugleich eine härtere Gangart gegenüber der Union in der Regierungszusammenarbeit an.

Gegen eine neue Große Koalition wandte sich Juso-Chef Kevin Kühnert. Der neu formulierte Antrag sei ein "ehrenwerter Versuch", doch was die SPD brauche, sei eine Brücke aus "Erneuerung und Vertrauensbeweisen" und "nicht aus weiteren Spiegelstrichen, denn an denen mangelt es uns nicht". Nach zwölf Jahren Regierungszeit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seien die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Ein Nein jetzt bedeute nicht "das Ende der SPD", sondern "kann der Beginn einer neuen Geschichte werden".

Viel Applaus für Schulz-Gegner

"Wir werden uns in intensiven Verhandlungen dafür einsetzen, noch mehr zu erreichen", versicherte gleichwohl SPD-Vize Malu Dreyer. Der Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, zeigte sich mit den erreichten Änderungen zufrieden. Er warnte seine Partei davor, mit einem Nein zu Koalitionsverhandlungen würde sie "Möglichkeiten liegen lassen".

SPD-Chef Schulz erhielt für seine Rede nur verhaltenen Beifall von lediglich einer Minute. Die anschließenden Reden von Gegnern einer Großen Koalition wurden deutlich lauter bejubelt. Für die Parteitagsdebatte gab es mehr als 100 Wortmeldungen.

Weitere Forderungen für Koalitionsvertrag

Auf Drängen der Skeptiker in den eigenen Reihen will die SPD-Spitze mit zusätzlichen Forderungen in Koalitionsverhandlungen mit den deutschen Unionsparteien gehen. Die Parteiführung legte am Sonntag einen erweiterten Leitantrag für den Parteitag in Bonn vor, nachdem die mächtige SPD Nordrhein-Westfalen den Bundesvorstand unter Zugzwang gesetzt hatte.

In dem von der Antragskommission beschlossenen Leitantrag werden die bisherigen Sondierungsergebnisse in Teilen als "unzureichend" gewertet. An bestimmten Stellen müssten "wirksame Verbesserungen" erzielt werden, heißt es darin.

Formulierungen abgeschwächt

Dazu gehöre eine "weitergehende Härtefallregelung" für den Familiennachzug von Flüchtlingen. Weiter heißt es: "Wir wollen das Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten." "Geeignete Schritte" dazu seien eine gerechtere Honorarordnung für Krankenversicherte und die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte. Enthalten ist außerdem die Forderung, dass befristete Arbeitsverhältnisse die Ausnahme sein müssten. Eine der "geeigneten Maßnahmen" sei hier die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.

Diese Punkte werden aber nicht als klare Bedingung genannt – und sind damit deutlich schwächer formuliert als in dem Vorstoß der nordrhein-westfälischen SPD. Der größte Landesverband der deutschen Sozialdemokraten hatte am Samstag einen Entwurf für einen Parteitagsantrag veröffentlicht und die SPD-Führung damit unter Druck gesetzt. Nach vielen Gesprächen hinter den Kulissen verständigten sich Parteispitze und Länder nun auf diesen Kompromiss, um noch möglichst viele der Gegner einer Großen Koalition umzustimmen.

Festgeschrieben ist darin auch, dass noch im ersten Quartal ein "Fahrplan für den notwendigen inhaltlichen und organisatorischen Neuaufstellungsprozess" der SPD vorgelegt wird – mit dem Ziel, diesen noch vor der Sommerpause zu starten.

Merkel begrüßt Ja des SPD-Parteitages

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich zufrieden mit dem knappen Ja des SPD-Sonderparteitags zu Koalitionsverhandlungen mit der Union geäußert. Die Union strebe eine stabile Regierung an, bekräftigte die CDU-Vorsitzende am Sonntagabend vor Beratungen der Spitzengremien ihrer Partei in Berlin.

Grundlage der nun anstehenden Koalitionsverhandlungen sei das Sondierungspapier, sagte Merkel. Eine Vielzahl von Fragen sei noch zu klären. Es gehe jetzt darum, möglichst bald damit zu starten.

CSU-Chef Horst Seehofer erteilte einmal mehr der SPD-Forderung nach einer Nachbesserung der Sondierungsergebnisse von Union und SPD in drei Bereichen eine Absage. "Ich sehe da keine Möglichkeit", sagte Seehofer am Sonntagabend vor einer CSU-Präsidiumssitzung in München.

"Wir haben ja hinreichend erklärt, dass die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen die Sondierungsergebnisse sind. Und an unserer Haltung hat sich nichts verändert", betonte er. (APA, 21.1.2018)