Kurt Mann (67) ist gelernter Bäcker und Konditormeister. Der in zweiter Ehe Verheiratete ist nicht nur privat äußerst sportlich unterwegs – aus dem Kleinbetrieb der Eltern machte er einen großen. Deswegen ist er auch mit der Gewerkschaft im Clinch, die für die Mitarbeiter einen Industrie-KV für angemessen hält. Der Ausgang ist offen. Für die Bäckereibranche werde es wohl ähnlich eng wie für die Fleischauer, glaubt Mann. Vor 15 Jahren gab es in Wien 550 Bäcker, heute seien es noch 120. Sorgen macht er sich dennoch nicht, auch wenn vielleicht in naher Zukunft ein Riese wie Amazon Semmerl ausliefern könnte: "Vielleicht verkaufen wir in drei Jahren Blumen, ich weiß es nicht."

STANDARD: Es ist zehn Uhr am Vormittag. Sie tauchen um halb sechs Uhr morgens in der Firma auf. Was treibt Sie so früh aus dem Bett?

Mann: Die unnützeste Zeit im Leben ist das Schlafen. Sie können nichts bewegen, können nicht nachdenken. Sie können nur träumen. Und der Traum bleibt natürlich ein Traum. Ich hab in meinem ganzen Leben sehr wenig geschlafen, zwischen drei und vier Stunden täglich – bis vor fünf Jahren.

STANDARD: Sie Glücklicher. Das ging ganz von selbst?

Mann: Das war angelernt. Früher, als wir noch ein Kleinbetrieb waren, ist man um zwei oder drei Uhr nachts in die Bäckerei gekommen. Ich habe die Mechanik gemacht, war Chauffeur und Mädchen für alles. Man gewöhnt sich an wenig Schlaf, man gewöhnt sich an alles.

Früh Aufstehen und zu nachtschlafender Zeit in die Zentrale in Wien-Liesing, damit fängt ein Mann den Tag an.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wirklich an alles?

Mann: Ich hatte eine Knieoperation, konnte nicht mehr laufen. Ich war sehr unglücklich. Ich mache ja viele Städtereisen. In jeder Stadt bin ich um vier Uhr, wenn alles munter wird, herumgelaufen. Das Schönste, was es gibt. Später am Tag habe ich meiner Frau gesagt, wo wir hingehen könnten. 100 Jahre habe ich jetzt schon gelebt, weil ich so wenig geschlafen habe.

STANDARD: Dann brauchen Sie auch viel Energie, haben um diese Zeit wohl schon öfter gefrühstückt?

Mann: Ich frühstücke nicht richtig. Ich trinke drei Liter Ingwertee bis zwei Uhr und einen Caffè Latte, aber erst um zwei Uhr. Damit ich keinen Hunger habe.

STANDARD: Wer denkt sich dann all die Produkte aus, wenn der Chef fast ohne Essen auskommt?

Mann: Ich gehe jeden Tag durch den Betrieb und muss da auch immer wieder kosten. Heute zum Beispiel irgendetwas mit einer Schokocreme und Crispy Crunchy gefüllt, das knistert gut. Dann noch eine Linzer Torte und irgendetwas mit Mango gefüllt. Hat mir überhaupt nicht geschmeckt.

STANDARD: Linzer Torte ist so traditionell wie Kipferln oder Flesserln ...

Mann: Mohnstriezerln sagt man in Wien. Flesserln haben neben Mohn ein bisschen Salz darauf. Viel besser, aber die Wiener wollen das nicht, wie auch keine Rosinen. Leider. Das Beste, was es gibt.

Mehrmals die Woche steht Sporteln auf dem Plan. Tennis und Crosstrainer, seine Passion Laufen musste er aufgeben, was ihn sehr unglücklich machte.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Dafür tummeln sich mittlerweile beim Bäcker Bergzwerge, Vegolinos, Gyros, Brownies. Wie innovativ muss man sein?

Mann: Sie müssen das machen, was der Kunde verlangt.

STANDARD: Schön, und wie wissen Sie das? Sie erinnern sich an den Shitstorm bei einer Handelskette, die Halalprodukte angeboten hat?

Mann: Ja, es ist sehr schwierig mit dem Internet. Was wir da zuweilen an Reklamationen bekommen. Das hat es früher nicht gegeben. Aber man muss damit leben. Und man sieht und lernt auch viel. Ich hole mir dort Rezepte oder informiere mich, wenn ich verreise. Aber ich habe einen Produktentwickler, dem geben ich oder der Betriebsleiter etwas vor. Ist es bei der Erstverkostung okay, wird es in größeren Mengen gemacht und auf die Filialen aufgeteilt. Dort wird bestimmt, ob ja oder nein.

STANDARD: Wie oft haben Sie sich geirrt?

Mann: Selten. Beim Brownie habe ich mich vor zwanzig Jahren geirrt. So ein tolles Produkt, aber es ist nicht gegangen, war zu früh. Vor zehn Jahren habe ich damit wieder begonnen, dann ist es ein Hauptprodukt bei Mehlspeisen geworden. Manches dauert lang.

STANDARD: Manches geht aber auch ganz schnell. Was, wenn zum Beispiel jetzt Amazon auch in Österreich Frischware ausliefert?

Mann: Innerhalb von zwei Stunden wird geliefert. Der Markt verändert sich wahnsinnig rasch. Ob sich das durchsetzen wird, wissen wir nicht. Aber man hat das in der Fleischbranche gesehen: Durch die Supermärkte gibt es fast keine Fleischhauer mehr. Es wird in unserer Branche nicht viel anders werden. Es gibt in Wien nur noch 120 Bäcker, vor 15 Jahren hatten wir 550. Es wird immer mehr verlangt, die Auflagen steigen. Das ist für Kleinstbetriebe fast nicht durchführbar und leistbar. Was Amazon Fresh betrifft: Ich bin von der alten Generation, ich gehe einkaufen, bestelle nicht im Internet.

STANDARD: Ihre sechsjährige Tochter wird das über kurz oder lang aber wohl nutzen.

Mann: Ja, leider, leider. Man geht nicht mehr hinaus, macht keinen Sport. Man hat dreitausend Internetfreunde, aber keine echten. Man kapselt sich mit den neuen Möglichkeiten auch zu Hause ein.

Am Brot verdient der Bäcker am meisten, denn da gibt die Maschine den Takt vor. Das kaufen die Kunden immer mehr im Supermarkt.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Allerdings gibt es viele junge Menschen, die auch im Lebensmittelbereich oder in der Gastronomie wieder Betriebe gründen.

Mann: Ja, es gibt einen Gegentrend. Alles was klein ist, ist wieder in. Was groß ist, derzeit nicht. Man hebt auch die ganz Kleinen wahnsinnig in die Höhe. Finde ich toll. Ich habe ja auch immer gesagt, es gibt keine gesättigten Märkte. Fürnkranz war der Modezar in Wien. Dann kamen Zara und H & M auf einen vollbesetzten Markt. Dann war der Fürnkranz weg.

STANDARD: Die Billiganbieter haben andere verdrängt. Sie haben Konkurrenten wie Hofer und Penny mit den Backshops aber überstanden.

Mann: Wir haben das vor zwei Jahren gespürt, aber den Einbruch aufgeholt. Der einzige Bereich, wo wir etwas Einbußen haben, ist Brot. Das ist das, womit wir am meisten verdienen. Nicht an Konditoreiwaren, nicht bei den Imbissen, weil da wahnsinnig viel Handarbeit dabei ist. Beim Brot gibt die Maschine den Takt vor. Das kaufen die Kunden immer mehr im Supermarkt. Die Gewinnmargen gehen zurück.

STANDARD: Es gibt aber auch Menschen, die für einen Laib Brot sieben Euro zahlen. Sie rechnen noch in Schilling um, haben Sie einmal gesagt. Wären fast 100 Schilling.

Mann: Ja, es ist toll, wenn es Unternehmen gibt, die es schaffen, dass ein Produkt wieder seinen Preis bekommt, und die nicht die Semmel um sieben Cent verkaufen. Das ist aber bei vielem so. Kaufen Sie ein Glas guten Rotwein, unter acht Euro kriegen Sie es nicht. Sie können in einem Beisl ein Dreigängemenü um elf Euro essen und im Restaurant ein Schnitzel um 28 Euro. Auch die Preise für unsere Maschinen sind so gestiegen, dass sich das ein normaler Betrieb nicht mehr leisten kann.

STANDARD: Stichwort leisten. Arbeitnehmervertreter finden, Sie müssten Ihre Mitarbeiter nach dem Industrie-Kollektivvertrag anstellen.

Mann: Der Kollektivvertrag ist 15 bis 20 Prozent höher. Wir kämpfen wahnsinnig mit dem Lohnanteil, der in der Bäckerei zwischen 43 und 55 Prozent ausmacht. Da haben Sie jedes Jahr ein Problem, wenn Sie die Lohnerhöhung bekommen. Materialkosten machen im Schnitt 30 Prozent. Die steigen jetzt wegen des Butterpreises extrem. Sind bei mir 90.000 Euro pro Monat mehr.

STANDARD: Werden Brot und Gebäck teurer?

Mann: Ja, beim Brot wird man es kaum merken, obwohl Mehl auch teurer geworden ist. Das Semmerl wird statt 36 Cent 37 Cent kosten. Mehlspeisen, Imbiss, Plundergebäck, überall wo viel Butter und Ei drinnen ist, wird der Preis im Schnitt um sechs Prozent steigen.

STANDARD: Was machen Sie mit Ihren fast 80 Filialen, wenn wirklich Amazon die Semmerln bringt?

Brot, Gebäck und Kuchen, damit alleine kann ein Bäcker seine Brötchen nicht verdienen, sagt Kurt Mann: "Kaffee ist heute einer der Hauptumsätze. Das verdanken wir Starbucks, dass heute jeder Kaffee auf der Straße trinkt."
Foto: Regine Hendrich

Mann: Es wird hoffentlich trotzdem weitergehen. An Tankstellen bekommen Sie heute ebenso frisches Gebäck wie bei Lidl und Hofer. Man muss sich umstellen. Früher hatten wir 60 Zentimeter gekühlte Vitrinen, heute sind es zweieinhalb Meter. Früher hatten wir keine Getränke, heute ist das einer der Hauptumsätze. Starbucks verdanken wir, dass heute jeder Kaffee auf der Straße trinkt. Wir verkaufen zwei Tonnen im Monat, 40 Prozent über die Gasse. Wie ich begonnen habe, hatte ich im Monat so viel Mehl. Vielleicht verkaufen wir in drei Jahren Blumen, ich weiß es nicht.

STANDARD: Sie hätten die Firma verkaufen können oder einen Investor hereinnehmen. Es ist gar nicht so lange her, dass jemand mit 30 Millionen einsteigen wollte. Kein Interesse?

Mann: Ich habe schon öfter Angebote bekommen. Aber die Arbeit ist mein Hobby. Und ein Hobby hört man nicht auf.

STANDARD: Auch nicht bei einem richtig unmoralischen Angebot?

Mann: Auch nicht. Nie.

STANDARD: Sie feiern bald 70er ...

Mann: Na ja, in drei Jahren.

STANDARD: Jedenfalls wollen Sie den Betrieb für die fünfte Generation erhalten. Wird das gelingen?

Mann: Ich habe einen Geschäftsführer bestellt, der wird mitbeteiligt und das Unternehmen weiterführen. Von meinen beiden Söhnen macht einer Rohwarenlogistik, der andere den Verkauf. Ich hoffe, ich habe die richtige Auswahl getroffen. Ob es 100-prozentig stimmt, kann man nie sagen. Das ist wie in der Ehe. Sie schwören ewige Treue vor Gott und nach einem Jahr sind Sie geschieden. Es würde mich freuen, wenn es weitergehen würde. Wir sind gut, haben gute Produkte und irrsinnig gute Leute.

STANDARD: Sie könnten das Geschäft Ihrer Tochter schmackhaft machen. Was raten Sie ihr?

Mann: IT-Branche oder ein Start-up gründen. So etwas wie Runtastic oder Whatchado. Die Burschen imponieren mir, haben viel Geld für ihre Unternehmen bekommen. Anders zu sein als die anderen. So etwas geht.

STANDARD: Sie selbst hätten sich vorstellen können, auch Banker zu werden. Deren Image hat zuletzt arg gelitten. Sind Sie froh, dass Sie doch Bäcker geworden sind?

Mann: Ja, ich bin glücklich. Für mich war Sicherheit immer das Wichtigste. Ich habe mir gesagt Banker oder Bäcker, weil Geld und Brot brauchst du täglich. (21.1.2018)