Sebastian Kurz da, der Bundeskanzler dort, in Brüssel beim Parteifreund und Kommissionschef Jean-Claude Juncker ebenso wie in Paris bei seinem "cher ami", dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der nahm ihn sogar wiederholt kumpelhaft an der Schulter. Diese Woche nun bei der realpolitisch mächtigsten Politikerin in der Europäischen Union, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin – mit allen militärischen Ehren empfangen.

Die Reisetätigkeit, die der ÖVP-Chef seit der Machtübernahme seiner rechtskonservativen Regierung zu Weihnachten entfaltet hat, verleiht ihm ein wenig den Charakter eines Getriebenen. So wie er im Wahlkampf in dutzenden TV-Konfrontationen wie ein Mantra heruntergebetet hatte, dass er 2015 "die Balkanroute für illegale Migranten geschlossen" habe (was so einfach nicht stimmt), um möglichst viele Wähler zu gewinnen, so macht Kurz es jetzt in Bezug auf die österreichische Europapolitik: Er fokussiert seine Botschaften an die wichtigsten Partner in der Union genau so, wie sie (und die dortigen Medien) es gerne hören.

Wo er auch hinkommt, immer wieder betont Kurz, dass seine Regierung "proeuropäisch" sei; dass sie "konstruktiv" an den geplanten Reformen der Union mitarbeiten wolle, wenngleich die EU sich nur auf die wirklich "großen", wichtigen politischen Themen konzentrieren solle: Sicherheit, Euro, Migration, Grenzschutz. Und dass Österreich bei seinem EU-Vorsitz ab Juli alles daransetzen werde, dass die EU bis zur Europawahl im Frühjahr 2019 Lösungen findet, vor allem beim Brexit und beim EU-Budgetrahmen.

Dieses offensive Auftreten mit Wiener Charme war auch nötig. Denn in den wichtigsten EU-Hauptstädten ist nach wie vor klar, dass eine Zusammenarbeit mit einer FPÖ, die seit Jahr und Tag im Verein mit der EU-feindlichen Front-National-Chefin Marine Le Pen segelt, kein wünschenswerter Zustand ist. Das wurde besonders von Macron auch hervorgestrichen.

Aber dennoch: Auch wenn der Empfang zuletzt bei Merkel sichtlich kühler ausfiel als in Paris, müssen Freund und Feind von Kurz zugeben, dass die Blitzvisiten des türkis-blauen Regierungschefs nicht unerfolgreich blieben. Man nimmt ihm persönlich ab, dass er es ernst und gut meint mit Europa, trotz der Mesalliance mit den Freiheitlichen. Was deren Wirken auf der EU-Bühne betrifft, gilt das Motto: abwarten. Wir werden die FPÖ-Politiker an ihren Taten messen.

Genau das passt dem ÖVP-Kanzler sogar perfekt ins Konzept. Diese Botschaft hat er selbst mit seinem jungenhaften Charisma in die EU-Hauptstädte mitgebracht: Man solle das Handeln seiner Minister beurteilen, nicht das hässliche Bild einer aggressiven, ausländerfeindlichen und spalterischen Partei, das die FPÖ in Europa seit Jahren abgibt, sehr konkret im Europäischen Parlament. Die Freiheitlichen sehen sich dadurch in der ungewohnten Rolle, sich stilistisch benehmen zu müssen, wollen sie ernst genommen und anerkannt werden.

Seltsame Anspielungen auf Flüchtlinge, die man "konzentriert" halten solle, wie vom Innenminister, wird man sich nicht oft leisten können. Diese Disziplinierung der FPÖ dürfte innenpolitisch vor allem der ÖVP nützen, so sie denn stattfindet. Dazu kommt, dass Kurz seinen Regierungspartner in ein enges Korsett gespannt hat, indem er die gesamte EU-Koordinierung an sich zog. Im Zweifel gilt, was er sagt – was immer die FPÖ tut. (Thomas Mayer, 17.1.2018)