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17. Mai 2017: Angehörige der Opfer des Lawinenunglücks nehmen im Vatikan an der Generalaudienz von Papst Franziskus teil. Mit dem Stand der Ermittlungen sind sie überhaupt nicht zufrieden.

Foto: Reuters/Max Rossi

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Die Trümmer des Hotels in Rigopiano, einen Monat nach dem Lawinenunglück.

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"Unsere Erwartungen sind immer noch die gleichen: Wir wollen wissen, warum das passiert ist", erklärt Gianluca Tanda, der Sprecher des Angehörigenkomitees, ein Jahr nach dem Lawinenunglück. Tanda hatte bei dem Lawinenabgang seinen Bruder Marco verloren: Der junge Ryanair-Pilot war zusammen mit seiner Verlobten Jessica im Hotel von den tonnenschweren Schneemassen erdrückt und erstickt worden.

Das Luxusresort in Rigopiano auf 1200 Meter Höhe war am Abend des 18. Jänners 2017 von einer gewaltigen Lawine verschüttet und weitgehend zerstört worden. Zuvor waren mehr als zwei Meter Neuschnee gefallen; an jenem Tag wurden in dem Gebiet außerdem vier Erdstöße der Magnitude 5 bis 5,5 verzeichnet, die die Lawine verursacht haben.

Schlimmstes Lawinenunglück seit Galtür

In dem Hotel hatten sich insgesamt 40 Personen aufgehalten. Elf Menschen überlebten das Unglück: Zwei der Überlebenden hatten sich im Freien aufgehalten, neun Verschüttete – darunter vier Kinder – konnten in einer mehrere Tage dauernden dramatischen Bergungsaktion aus den Trümmern des Hotels befreit werden. Es handelte sich um das schlimmste Lawinenunglück in Europa seit der Katastrophe im Tiroler Galtür im Jahr 1999 mit 38 Todesopfern.

Die Verarbeitung ist für die Überlebenden und Angehörigen der Opfer umso schwieriger, als sie davon überzeugt sind, dass die Tragödie hätte vermieden werden können. Diesen Verdacht hegt auch die Staatsanwaltschaft von Pescara, die schon am Tag nach dem Unglück Ermittlungen eingeleitet hatte. Inzwischen läuft gegen 23 Personen ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen diverser Unterlassungs- und Administrativdelikte.

Die Liste der Versäumnisse ist lang: Laut Ermittlern hätte das Hotel angesichts der Wetterprognosen schon zwei Tage vor dem Unglück, als die Zufahrtsstraße noch passierbar war, evakuiert werden müssen, was aber nicht geschah. Danach wurden die Notrufe aus dem Hotel von den Behörden zunächst nicht ernst genommen. Vor allem aber hätte das Hotel nicht dort stehen dürfen, wo es stand: auf einem alten Lawinenkegel.

Warnung vor Verjährung

Im Visier der Justiz befinden sich unter anderem der Besitzer des Hotels, der Präsident der Provinz Pescara, der frühere Polizeichef von Pescara sowie der Gemeindepräsident der Ortschaft Farindola, zu der Rigapiano gehört. Doch die Ermittlungen sind aufwendig, und die italienische Justiz ist ohnehin nicht für Effizienz bekannt. Jedenfalls ist bisher keine Anklage erhoben worden, sodass die Anwälte der Angehörigen bereits davor warnen, dass am Ende alle Delikte verjähren könnten. "Wir haben aber das Recht zu erfahren, warum unsere Kinder, Geschwister und Eltern gestorben sind", betont Tanda.

Am Donnerstag, dem ersten Jahrestag des Lawinendramas, findet in Farindola eine Gedenkfeier statt. Daran wird auch Giampiero Parete teilnehmen, einer der beiden Männer, die sich beim Lawinenabgang im Freien befunden hatten und danach mit dem Handy vergeblich Hilfe angefordert hatten. Parete war wohl der Glücklichste aller Hotelgäste: Nicht nur er hatte das Unglück überlebt, sondern auch seine Frau und seine beiden Kinder wurden schließlich lebend geborgen. Parete kämpft mit Schuldgefühlen, die er in einem Buch mit dem Titel Das Gewicht des Schnees zu verarbeiten versucht. "Ich frage mich bis heute: Warum haben gerade wir überlebt? Womit haben wir das verdient?"

An seinen Schuldgefühlen zerbrochen ist der frühere Carabinieri-General Guido Conti. Gegen den 58-Jährigen liefen zwar keine Ermittlungen, aber er hatte für Nebengebäude des Hotels, in denen sich beim Lawinenabgang niemand aufgehalten hatte, Bewilligungen unterzeichnet. Conti hat im November Suizid begangen. In einem Abschiedsbrief schrieb er, dass er seine Schuldgefühle nicht überwinden könne. "Die Toten von Rigopiano lasten auf mir wie ein Felsblock." (Dominik Straub aus Rom, 18.1.2018)