Wien – Kopieren, reproduzieren, plagiieren – noch nie ist die verlustfreie Vervielfältigung von Text und Bild so einfach gewesen wie im Zeitalter digitaler Technologien. Gerade im Kontext der Kunst ist diese Entwicklung besonders bedeutsam, da hier die Unterscheidung zwischen Original und Kopie einen hohen Stellenwert einnimmt. Welche Auswirkungen die neue Kopierkultur auf die Kunstproduktion hat, erforschen der Künstler Michael Kargl und der Kurator Franz Thalmair im Projekt "Originalcopy – Postdigitale Strategien der Aneignung".

Das Projekt, das im Rahmen des Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) des Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird und in der Abteilung Medientheorie der Universität für angewandte Kunst Wien angesiedelt ist, ist auf zweieinhalb Jahre angelegt und läuft noch bis Ende 2018. Der titelgebende Begriff "Originalcopy" ist eine Wortschöpfung des Duos und soll die verschwimmenden Grenzen zwischen Original und Kopie in der Allgegenwärtigkeit digitaler Technologien zum Ausdruck bringen.

Thalmair: "Die Dichotomie zwischen Original und Kopie, zwischen Gut und Böse, wenn man so möchte, existiert so nicht mehr." Kargl und Thalmair interessieren sich in ihrer Forschung weniger dafür, welche Resultate die Kopierkultur in der Kunst hervorbringt, und lenken ihren Blick daher auch kaum auf die teils strafrechtlich relevanten Fragen zu Copyright und Plagiaten.

Vielmehr interessiert sie, wie sich der Prozess der Kunstproduktion durch die Möglichkeiten digitaler Technologien verändert. "Die Frage ist auch: Was ist das Postdigitale?", sagt Thalmair. "Für uns handelt es sich dabei nicht um einen Zustand, der etwa nach dem Digitalen kommt, sondern es geht darum, dass das Digitale sämtliche Lebensbereiche durchdrungen hat. Es ist zwar allgegenwärtig, aber gleichzeitig unsichtbar."

Handgefertigtes Kopierpapier

Ein zentraler Teil des Projekts ist die Ausstellung "A ditto, ditto device", die noch bis 17. Jänner im Angewandte Innovation Laboratory, Franz-Josefs-Kai 3, in Wien zu sehen ist. Dabei kommt exemplarisch zum Ausdruck, wie die verschwimmende Dichotomie zwischen Kopie und Original konstruktiv für die Kunstproduktion genutzt werden kann. Gleich im Eingangsbereich ist die Arbeit "Untitled (Icon), no. 1" von Ane Mette Hol zu sehen. Die norwegische Künstlerin hat 500 Blatt Papier händisch auf A4-Größe zugeschnitten und der Anmutung nach wie Kopierpapier verpackt – inklusive handgezeichneten Labels der ikonischen Kopierpapiermarke Symbio samt Strichcode.

Die norwegische Künstlerin Ane Mette Hol hat für ihre Arbeit "Untitled (Icon), no. 1" 500 Blatt Papier händisch zugeschnitten, verpackt und mit einem handgemalten Label versehen.
Foto: Corn

Im Beitrag von Ovidiu Anton wird die Überschneidung von Kopierkultur und Recyclingbewegung deutlich: Der aus Rumänien stammende und in Österreich aufgewachsene Künstler hat im öffentlichen Raum deponierte Holzkisten bei einer Residency in Istanbul fotografiert und die Objekte im Anschluss mitgenommen. Zurück in Wien, baute er aus dem Holz der fotografierten Kisten einen Bilderrahmen für die Arbeit. "Wir bewegen uns mit solchen Arbeiten nicht nur im Kunstrefugium, es geht beispielsweise auch um Themen wie Nachhaltigkeit", so Kargl über die gesellschaftlichen Aspekte des Projekts.

Spuren im Analogen

Die Frage, welche Spuren das Digitale im Analogen hinterlässt, beschäftigt auch die Künstlerin Joséphine Kaeppelin. Sie ist mit einer Arbeit vertreten, in der sie großflächige monochrome Farbausdrucke angefertigt hat, die allerdings ob der Fehleranfälligkeit des Tintenstrahldruckers Farbverläufe zeigen. Auch so kann also ein "Original" entstehen, obwohl der Drucker ja gerade prototypisch für die Kopie steht. Was Kargl und Thalmair an dieser Arbeit fasziniert, ist, wie "der Drucker eine Mitautorenschaft am Werk hat".

Der händische Entwurf eines Textes wird in der Origami-Skulptur "Tailings (For Thomas)" (2014) von Yuki Higashino zum eigentlichen Original.
Foto: Corn

Was ist ein Original, und wo fängt die Vervielfältigung an? Um diese Frage kreist auch eine Arbeit von Kargl selbst: Ein Computerbildschirm ragt aus dem Boden, daneben ein Einplatinenrechner, der hier nur einen Zweck erfüllt: Der immer gleiche Vierzeiler scheint am Bildschirm auf, nur eine fortlaufende Nummer ändert sich. Die computerisierte Endlosschleife wird damit in den Dienst der Kunstproduktion gestellt. "Kopie und Original lassen sich nicht trennen, es geht weder darum, das Original herzustellen, noch darum, mit Kopien zu arbeiten, uns interessiert das Dazwischen", sagt Kargl.

Künstlerische Methoden

Klarerweise unterscheidet sich ein künstlerisches Forschungsprojekt in Methoden und Ausdrucksformen etwa von einer naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung. Vieles schwingt mit bei den Ergebnissen dieser Forschung, so manches bleibt im Ungefähren. Zur Weiterführung der Ausstellung haben Kargl und Thalmair auch Lesestationen eingerichtet, die zum Verweilen einladen – mit Büchern und Zitatensammlungen zu Begriffen wie "Buzz" (Gerücht), "Plagiarismus" oder "Übersetzung".

Lesestationen mit Zitaten zu verschiedenen Begriffen wie "Buzz" ("Gerücht"), Plagiarismus, Übersetzung oder Distribution sind Teil der Ausstellung "A ditto, ditto device" von Kargl und Thalmair.
Foto: Corn

"Das größte Problem der Kunst des 20. Jahrhunderts ist der ständige Ruf nach etwas Neuem und Originalem", ist dabei etwa in einem Text des britischen Schriftstellers Stewart Home zu lesen. Dass dieser von 1987 stammt, macht erneut deutlich, dass die Fixierung auf das Original in der Kunst bei weitem keine neue Entwicklung ist – ebenso wenig wie die Folgen. Home weiter: "Die Konsequenz davon ist, dass, während alles so aussieht, als würde es eine Veränderung bringen, sich nichts wirklich verändert." (Tanja Traxler, 17.1.2018)