Ein Überzeugungstäter in den War Rooms, die längst nach ihm benannt wurden: Gary Oldman als Winston Churchill.

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Wien – Anhand der Rollen von Gary Oldman könnte man ein exzentrisches Porträt der Gesellschaft malen. Vor rund 30 Jahren begann der Londoner seine Laufbahn mit rotzigem Nachdruck in Alex Cox' "Sid & Nancy", in dem er sich dem Sex-Pistols-Gitarristen Sid Vicious anverwandelt hat. Seitdem hat uns Oldman mit Schurken und Provokateuren beschenkt. Er war ein dandyhafter Dracula und der Geheimdienstler George Smiley in der John-le-Carré-Adaption "Tinker Tailor Soldier Spy". Und nun also der Premier Winston Churchill, dieses Denkmal britischen Eigenbrötlertums.

Wie Performances angelegte Figuren

Die Ironie, dass gerade ein Working-Class-Schauspieler wie Oldman – der Sohn eines Schweißers, der viel Zeit seines Lebens im Pub abgesessen hat – den berühmtesten Politiker der Insel spielt, ist beträchtlich. Andererseits ist dafür niemand besser geeignet als der 59-Jährige, der seine Figuren stets wie Performances anlegt – so, als könnten diese ihre Aura und Wirkkraft selbst kaum glauben, wenn sie diese nicht ohnehin längst genießen. Jedes Wort lassen sie auf der Zunge zergehen.

"Darkest Hour", Joe Wrights Kriegshistoriendrama über Churchills Widerstand gegen Hitler und die Appeasementpolitiker in den eigenen Reihen, mag auf den ersten Blick nicht zu dieser Kategorie gehören. Doch der Premier wäre kein Oldman-Part, wenn der Schauspieler nicht auch durch jede Menge Latex noch durchscheinen würde. Ganz verschwindet er nie in seinen Rollen.

Deutscher Trailer.
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"Meine größte Sorge war, ob ich den Dreh durchhalten konnte", erzählt Oldman mit Zurückhaltung im STANDARD-Interview. "Churchill ist in fast jeder Szene zu sehen, er ist die Lokomotive des Films. Ich habe seit "Tinker" keine Hauptrolle mehr gespielt. Das stemmt man nicht so leicht wie eine Nebenrolle. Wenn man vier Stunden vor allen anderen aufs Set kommt und insgesamt 18 Stunden bleibt ..." Oldman unterbricht sich: "Es gibt Schlimmeres – nicht dass ich mich beklagen würde."

Eier, Whisky und Zigarre

Das Ergebnis spricht für sich – denn ohne ihn wäre "Darkest Hour" nur halb so interessant. Oldman gilt als Oscar-Favorit, den Golden Globe hat er schon. Dass es sich nicht um die konventionelle Variante eines Celebrity-Parts handelt, wo es zu oft um die Ähnlichkeit zum Original geht, sieht man an der Selbstsicherheit, mit denen Oldman seinen Churchill zelebriert: Man muss schon sehr gut wissen, wie man Eier, Whisky und Zigarre frühstückt und dabei staatsmännisch bleibt. Mit diesem sehr britischen Sinn für Understatement.

"Churchills öffentliches Bild ist sehr speziell – das liegt daran, dass er ein Selbstdarsteller war", antwortet Oldman auf die Frage, mit welchen Tricks man sich eine solche Berühmtheit zu eigen macht. "Er verstand etwas von Branding, bevor es Branding überhaupt gab. Ich meine, dieser merkwürdige kleine Herr, mit seinem Homburg-Hut, der Zigarre und seiner viktorianischen Kleidung, der Taschenuhr und seiner Fliege!"

Viele seiner Auftritte hätten ein Gefühl von Theater, von Vorführung verströmt: "Churchill ist eine dieser Figuren, die ganz natürlich zum Opernhaften tendieren. Doch seine starken Gesten überdecken nicht die menschlichen Ströme, die ihn durchfließen; man muss durch die Gesten hindurch, um den Menschen zu entdecken."

Trailer in Originalsprache (Englisch).
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Joe Wrights Regie liegt bei aller heldenhaften Reduktion auf die Einzigartigkeit seines Helden diese menschliche Seite am Herzen (Drehbuch: Anthony McCarten). Oldmans Darstellung akzentuiert einen Premier, der auch Zweifel kennt. 1940 wächst er mit der historischen Herausforderung über sich hinaus, er beharrt auf einer harten Gangart. Im klaustrophobischen Bunker der War Rooms, wo er seine Strategien gegen Hitler plant und Gegner zu überzeugen versucht, macht er gegen Technokraten wie Neville Chamberlain (Ronald Pickup) die bessere Figur. Oldmans Fertigkeit, sein Tempo abrupt zu wechseln, kommt diesem Ringkampf entgegen.

Trump war kein Thema

Ein Film, der auf den Mangel an großen Staatslenkern in der Gegenwart oder die Wiederkehr der Kleingeisterei anspielt, sollte "Darkest Hour" nicht werden. "Als wir mit dem Film anfingen, da war der Brexit noch nicht passiert, auch Trump hatte noch nicht gewonnen. Die nationalistischen Gefühle in Europa waren noch begrenzt", sagt Wright. Es gehe ihm vielmehr um das allgemeine Vermögen der Menschlichkeit, um die Fähigkeit, sich gegen Hass zusammenzuraufen.

Oldman betrachtet Churchill auch als Mann mit Humor. "Er machte Witze über Sex und den Tod, zwei Dinge, die ihm unangenehm waren", attestiert Wright. Oldman imitiert Churchills Sprachduktus lautmalerisch, wie eine Basslinie: "La lala laaa, la lala laaa. – Er hatte diese ganz eigene Form der Redekunst." Auf einem Outtake einer Nachrichtensendung hätte er aber auch kurz eine private Bemerkung Churchills hören können: "Da wird er zu einem anderen Tier. Man merkt, wie er in der Öffentlichkeit gespielt hat."

Zu Churchills Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede fallen Oldman seine drei Söhne ein: "Sie sind meine größte Errungenschaft. Die Welt könnte mehr Leute wie sie vertragen, so richtige ,decent fellows'." Es gebe genug Genies, aber zu wenig gute Menschen: "Ich finde, man sollte im Dienste der Öffentlichkeit Blut, Schweiß und Tränen geben – und Freude verbreiten." (Dominik Kamalzadeh, 16.1.2018)