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In Sofia wird beschlossen, was Kurz im Herbst beschäftigen wird.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Im Granitsaal des Ministerratsgebäudes der bulgarischen Regierung ist der Leitspruch des Landes auf einer Tafel eingemeißelt: "Gemeinsam sind wir stark." Daran orientiere sich die Nation seit mehr als hundert Jahren, sagt Ministerpräsident Bojko Borissow am Donnerstag zum Auftakt der EU-Präsidentschaft seines Landes in der Hauptstadt Sofia. Bulgarien leitet nun für ein halbes Jahr lang die EU-Geschicke mit, in dieser Zeit wird es viele Aktionen setzen, die nicht zuletzt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz direkt betreffen werden, wenn dieser im zweiten Halbjahr übernimmt. Deshalb wird der österreichische Regierungschef wohl heute, Freitag, mit einem Auge in Sofia sein, wenn er in Paris zu seinem ersten bilateralen Auslandsbesuch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eintrifft. Auch dort soll die Vorbereitung des EU-Vorsitzes zentrales Thema sein.

Doch zunächst konzentrierte sich die EU am Donnerstag auf Sofia: Dort flog am Abend die gesamte Kommission mit Präsident Jean-Claude Juncker zu einem Festakt ein. Dem christdemokratischen Borissow, der seit 2017 mit den Rechtspopulisten regiert, ging es aber auffällig deutlich darum zu betonen, wie proeuropäisch, wie vertragstreu seine Regierung ist und sein wolle.

Mahnungen an Orbán

Gerade die Bulgaren hätten jeden Grund, den EU-Partnern im alten Westeuropa dankbar zu sein für die Aufbauhilfen. Das Wachstum beträgt fast vier Prozent, junge Bulgaren kehren zunehmend aus dem Ausland wieder zurück. Das einst mit Abstand ärmste Land der Union habe enorme Fortschritte gemacht, so der Premier. Auch deshalb will er den Beitrittsprozess für den restlichen Westbalkan zu einem zentralen Thema seiner Ratspräsidentschaft machen und dafür einen Gipfel einberufen. Das wird man auch in Wien gern gehört haben, wo dieses Thema ebenfalls prioritär ist.

Borissow fand aber auch kritische Worte an seine "Kollegen in Ungarn oder Tschechien". Denen sage er immer, "erinnert euch, wie es früher aussah", in Zeiten der kommunistischen Diktatur, da habe es "Bananen nur zu Weihnachten gegeben". Auch wenn Borissow die Namen nicht ausspricht, der ungarische Premier Viktor Orbán mit seinem EU-Skeptizismus darf sich ebenso angesprochen fühlen wie die Regierung in Polen, gegen die die Kommission Ende 2017 ein Verfahren wegen systematischer Verletzung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet hat: Mit deren konfrontativem Umgang mit der EU will er nichts zu tun haben.

Brocken der Zukunft

Borissow will sein Land enger an die Union heranführen. Bis Anfang Juli, wenn der EU-Vorsitz Österreichs beginnt, will die Regierung in Sofia den Antrag auf Aufnahme in den Euroraum einbringen. Und vor allem möchte sie dazu beitragen, die Fülle anstehender Probleme einer gütlichen Lösung zuzuführen. Auf der geplanten Agenda stehen neue Konzepte, wie man die gesamte Migrationspolitik in geänderte EU-Regeln bringt, ebenso der Start der Gespräche über den EU-Budgetrahmen ab 2020 sowie die Brexit-Verhandlungen.

Man werde versuchen, einen Beitrag für Kompromisse zu leisten, verspricht die zuständige Vorsitzministerin Liljana Pawlowa. Aber nicht nur sie, auch Premierminister Borissow lässt durchklingen, dass das sehr schwer werden würde. Die meisten dieser großen Brocken wird wohl Österreichs Regierung "erben". Auch was die verpflichtenden Quoten bei der Verteilung von Asylwerbern auf alle EU-Staaten betrifft, zeigt sich Borissow skeptisch: "Man muss sich dazu mehr einfallen lassen, denn sie wollen alle nach Deutschland oder Österreich." Auch dieses Thema dürfte erst im zweiten Halbjahr zur Lösung anstehen, während Wiens EU-Vorsitz. (Thomas Mayer aus Sofia, 12.1.2018)