Die Väter von Hartz IV: Gerhard Schröder (li.), Bundeskanzler von 1998 bis 2005, und der frühere VW-Manager Peter Hartz.

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Wie gnadenlos deutsche Gründlichkeit sein kann, hat vor kurzem ein Arbeitsloser aus Dortmund erfahren. Weil sein "Hartz IV" (korrekt: Leistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch) nicht für neue Anschaffungen in der Wohnung reichte, setzte sich der 50-Jährige in die City und bettelte.

Sein Pech: Eine Mitarbeiterin des Jobcenters erkannte ihn. Flugs war die Sozialleistung um 270 Euro im Monat gekürzt. Es folgte eine juristische Auseinandersetzung um "meldepflichtige Tätigkeiten" und Schätzungen, wie viel ein Bettler eigentlich einnehme.

Dazubetteln doch erlaubt

Schließlich gab es vor Weihnachten eine Einigung, der Mann durfte sich 200 Euro monatlich dazubetteln, die Leistungskürzung wurde rückgängig gemacht. Der Fall aber sorgte bundesweit für Aufsehen und zeigte einmal mehr: Auch zwölf Jahre nach der Einführung von Hartz IV gibt es noch Diskussionen.

Begonnen hatte alles am 14. März 2003. An diesem Tag hielt der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag eine Regierungserklärung und kündigte mit folgenden Worten eine umfassende Reform der Sozialleistungen an: "Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."

Die Bundesrepublik galt damals als "kranker Mann" Europas, vor allem wegen der hohen Ausgaben für die vielen Arbeitslosen. Ökonomen kritisierten seit längerem, dass Arbeitslose in einer nicht unkomfortablen Lage seien. Da es lange Zeit nicht unüppige Sozialleistungen gab, waren sie nicht gezwungen, rasch wieder eine Beschäftigung anzunehmen.

Das Kanzleramt verloren

Ausgerechnet der Sozialdemokrat Schröder griff durch und beauftragte den damaligen VW-Manager Peter Hartz mit der "Mutter aller Reformen". Der Kanzler selbst zahlte dafür einen hohen Preis. Am 1. Jänner 2005 trat Hartz IV in Kraft, bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 verlor Schröder das Kanzleramt an Angela Merkel, die bis heute darin sitzt.

Keinem Sozialdemokraten ist die Rückeroberung gelungen. Ebenso bitter für die SPD: Nicht nur ein Teil der Wähler ging unwiederbringlich verloren, sondern auch ein Teil der Genossen. Hartz IV hat die Partei bis ins Mark getroffen. Viele folgten aus Protest gegen die massiven Kürzungen im Sozialbereich dem früheren SPD-Chef Oskar Lafontaine zur Linkspartei nach.

Noch heute sagen viele, die dann doch der SPD treu geblieben oder neu dazugekommen sind, es habe niemals zuvor eine solche Zäsur gegeben.

Es waren nicht nur die Leistungskürzungen, die viele aufregten, sondern auch der Ton, der plötzlich vorherrschte. Vielen galten Arbeitslose als Schmarotzer, die bloß faul in der Hängematte liegen wollen.

Mehrere Faktoren

Doch die Zahlen rehabilitieren Schröder etwas. Ökonomen verweisen darauf, dass der Anreiz, schneller einen Job anzunehmen, ebenso zum Aufschwung in Deutschland beigetragen habe wie die flexibleren Arbeitszeitregelungen, die Lohnzurückhaltung und die Stabilisierungspolitik in der Krise 2009, etwa Kurzarbeit.

"Hartz IV muss weg!" – diese oft gehörte Forderung aus den Anfangsjahren wird auch heute noch von den Linken erhoben. Zu den schärfsten Kritikern gehört der Armutsforscher Christoph Butterwegge, der von der "sozialen Kälte" in einem reichen Land spricht und darauf hinweist, dass viele Menschen, die Hartz IV beziehen, nicht mehr davon wegkommen.

Butterwegge war 2017 Kandidat der Linken bei der Bundespräsidentenwahl. Früher einmal hatte er ein SPD-Parteibuch. In der SPD hingegen herrscht heute weitgehend die Meinung vor, dass man die gesamte Schröder'sche Sozialreform nicht mehr kippen, aber durchaus in einigen Punkten justieren könne. Im Wahlkampf hatte auch Parteichef Martin Schulz gefordert, etwa das Schonvermögen für Hartz-IV-Bezieher anzuheben oder älteren Arbeitslosen wieder mehr Geld zu geben. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.1.2018)