Reise über die Balkanroute, nur in umgekehrter Richtung: Günter Franzmeier (li.) und Kaspar Locher im Wiener Volx/Margareten.

Foto: Alexi Pelekanos

Wien – "Heimatgefühle", heißt es im Stück einmal, "habe ich nur dazwischen. Dazwischen bin ich zu Hause, auf dem Weg." Gemeint ist zwischen Wien und Aleppo. In der syrischen Stadt, heute ein Trümmerfeld, wurde der Kurde Ibrahim Amir 1984 geboren. Hier studierte er Theaterwissenschaft, bis ihn politische Gründe zum Auswandern zwangen. Seit 2002 lebt er in Wien, studierte Medizin, arbeitet als Arzt und Autor.

Sein erstes Stück Habe die Ehre über das Thema Ehrenmord erhielt 2013 einen Nestroy. 2016 hätte das ursprünglich als Dystopie angelegte Homohalal am Volkstheater Uraufführung haben sollen. Doch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wollte Intendantin Anna Badora mit dem zwei Jahre alten Problemtext über Migration keine Missverständnisse riskieren. In überarbeiteter Fassung kam das Stück 2017 am Schauspielhaus Dresden auf die Bühne, ab Jänner steht es dann im Meidlinger Werk X auf dem Spielplan.

Mit Amirs neuestem Stück Heimwärts, einem Auftrag des Schauspiels Köln, nimmt das Wiener Volkstheater indes einen zweiten Anlauf. Und der gelingt – mit Abstrichen.

Letztes Geleit nach Aleppo

Auf die Bühne der Spielstätte Volx/Margareten stellen Amir und Regisseurin Pinar Karabulut den greisen Wiener Gastarbeiter Hussein (Günter Franzmeier) und dessen Neffen Khaled (Kaspar Locher). Der soll seinen Onkel fürs letzte Geleit zurück nach Aleppo bringen. Bei der Reise über die sogenannte Balkanroute stehen ihnen der Arzt Osman (Günther Wiederschwinger), von dessen Türkei-Herkunft nur noch der Name zeugt, sowie die transgendersexuelle Krankenschwester Simone (Isabella Knöll) zur Seite.

Die Dialoge und Monologe, die sich unterwegs entfalten, knüpfen an das Leben Husseins, seine Erinnerungen und Sehnsüchte an. Es geht um Kriegserfahrung am Golan, das Sesshaftwerden in Wien im Jahr 1972 und darum, dass er "nie dem Gefühl nahe gekommen ist, auf Deutsch geliebt zu werden". Es sind dies die starken poetischen Stellen in Heimwärts. Durch die Rolle des Neffen werden sie zwar noch humoristisch gebrochen ("Opa/Onkel erzählt vom Krieg"), aber nie her abgewürdigt. Das ist ehrlich und respektvoll zugleich.

Die türkische Grenze

Zur Groteske wird das Stück ab dem Moment, in dem Hussein (vermeintlich) stirbt und fortan als Untoter das Geschehen begleitet. Im Gewahrsam türkischer Grenzbeamter, herausragend verkörpert von Oktay Günes und Sebastian Pass, kommt die Reise schließlich ins Stocken. Die vom islamistisch-nationalistischen Klima des Landes überhitzten Grenzer vermuten nichts als "Aktionisten, Aktivisten, Schwuchteln" in der Gruppe und beschließen durchzugreifen. Die Satire, die ab hier immer wieder ins allzu Reale kippt, wird von Effekt und vieldeutiger Kostümierung (Bravo, Aleksandra Pavlovic) ummantelt. Auch die bis heute unaufgelösten Wirren um den fehlgeschlagenen türkischen Putsch von 2016 verarbeitet Amir im Stück. Gegen Ende wird der hetzerische Jargon des türkischen Präsidenten Erdogan mit jenem der FPÖ verschnitten. Das kennt man so auch aus zahlreichen Kabaretts.

Als Kommentar zur Zeit taugt Heimwärts letztlich nur bedingt. Zu sehr verharrt das Stück in der bloßen Beschreibung von allseits bekannten Missständen wie Homophobie oder radikaler Islamanschauung. Der Versuch, so viele Problemlagen wie möglich in ein Stück zu pressen, geht zu lasten fokussierter Aussagen, die mehr Wirkung entfalten könnten. Ein originell neuer Gedanke abseits der Erkenntnis liberal Gesinnter, wonach mit übertriebenem Nationalismus egal welcher ethnischen Zuschreibung kein guter Staat zu machen ist, tut sich nicht auf.

Die Abrechnung mit Erdogan, die in Heimwärts etwas zu kalkuliert gesucht wird, mag vielen Genugtuung verschaffen. Sie kann so aber längst auch Medien und Politikermündern entnommen werden. Die, die das Stück noch erschüttern könnte, werden es leider nicht zu sehen bekommen. (Stefan Weiss, 7.1.2018)