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Er hat nie wirklich Englisch gelernt, aber dennoch eine internationale Karriere hingelegt: Adriano Celentano, ab Samstag 80 Jahre alt – hier beim Festival in San Remo anno 2008.

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Die frühen Jahre: Celentano mit einer Eko-Gitarre.

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Celentano im Jahr 1970 im ZDF-"Nightclub".

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Im Jahr 1972 mit Claudia Mori, mit der Celentano drei Kinder hat.

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1981 drehte Celentano mit Ornella Muti die Komödie "Gib dem Affen Zucker"/"Innamorato pazzo".

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Es gibt italienische Künstler, die als Liederschreiber und Sänger tiefer schürfen als er, die für anspruchsvollere Filme Regie machen, sie produzieren und in ihnen subtilere Rollen spielen, die sich als Fernsehstars zu politischen Problemen eindeutiger äußern. Aber keiner ist in diesen Spielräumen so lange und so erfolgreich unterwegs wie Adriano Celentano. Am 6. Jänner feiert er seinen 80. Geburtstag.

Über die Jahrzehnte haben sich Fans und Kritiker jeweils ihren Celentano zurechtgelegt. Die einen verehren ihn immer noch als Erbverwalter des guten alten Rock 'n' Roll, andere als Meister aller Schnulzen. Schauspieler im komischen Fach ist er für Kinogeher, ein merkwürdig schillernder "Homo politicus italicus" für zeitgeschichtlich Interessierte. In die Tradition der "cantautori" – neudeutsch: der Singer-Songwriter – wird er eingereiht; nein, er sei vielmehr ein "profeta cantante", ein singender Prophet; oder aber hauptsächlich ein Geschäftsmann; oder doch eher ein Kasperl?

Irgendwie stimmt das alles. Vor allem aber hat Celentano es geschafft, seine vermeintlichen Mängel in Vorzüge zu verwandeln. Geradezu manisch hyperaktiv waren seine frühen Auftritte, bis er sie zu mehrheitstauglichen Bühnenshows kanalisierte – "il molleggiato" nennen ihn seine Landsleute bis heute, den Gefederten. Dass er eine Mischung von Charmeur und Clown, Lulatsch und Tollpatsch ausstrahlt, kam ihm bei entsprechenden Rollen in etlichen Filmen zugute und machte ihn auch international bekannt.

1972 landete Celentano mit dem sinnlosen Fantasie-Englisch von "Prisencolinensinainciusol" (ab 1:33) einen Hit.
zincocarbone

Das Englische beherrscht er zwar nicht, aber dafür hat er ein Lied auf Nonsense-Englisch geschrieben – "Prisencolinensinainciusol" –, das sogar in den USA populär wurde. Und egal, wie seine politischen Ansichten schwankten, die TV-Zuschauer nahmen mit Begeisterung die Aufrufe des Showmasters Celentano zur Kenntnis, ob gegen die Jagd, gegen Berlusconi oder für Beppe Grillo, gegen streikende Gewerkschafter und knausrige Unternehmer gleichzeitig. Oder gegen das Fernsehen, vorgetragen im Fernsehen: "Dreht das Gerät ab!"

Geboren in der via Gluck

Am 6. Jänner 1938 wird Adriano Celentano in der Mailänder via Gluck geboren, in der Gasse, die er später einmal nostalgisch besingen sollte. Seine Eltern stammen aus Apulien und sind auf der Suche nach Arbeit in die Lombardei gezogen. Mit 18 tritt er erstmals als Sänger mit den Rock Boys auf, ganz unter dem Einfluss von Elvis Presley und Bill Haley und der Körpersprache des Filmkomikers Jerry Lewis. Als kleiner Rocker in "La dolce vita" (1960) hat er einen kurzen Auftritt und covert mehr liegend und springend als stehend den Hit "Ready Teddy".

Der erste international wahrgenommene Auftritt von Celentano als junger Rocker in "La dolce vita" (1961).
Mirko Colella

"24 mila baci", eine halbe Million mal als Single verkauft, wird sein erster Hit. Viele größere folgen, unter ihnen "Azzurro" (von Paolo Conte – übrigens kein himmelblauer Sommer-und-Strand-Song, als der er bei uns oft missverstanden wird, vielmehr ein melancholisches Lied über die Einsamkeit dessen, der in der Stadt zurückbleibt), "Pregherò", eine Coverversion des Klassikers "Stand By Me" von Ben E. King, "La coppia più bella del mondo" mit Ehefrau Claudia Mori im Duett über das "schönste Paar der Welt" oder eben "Il ragazzo della via Gluck", eine frühe Ökoballade gegen die Zementierung der Städte.

Celentano live 2012 mit "Pregheró" ("Stand By Me").
Adriano Celentano

1961 gründet er den Clan Celentano, ein Plattenunternehmen und kurzfristig auch ein Künstlerkollektiv, aus dem viele Erfolgsgeschichten und einige langlebige Feindschaften hervorgehen. (Claudia Mori ist bis heute Chefin der Firma, mit ihr hat der zwischendurch getrennt lebende Ehemann drei Kinder, seit 2004 ist er Großvater.)

Live mit Paolo Contes oft missverstandenem "Azzurro".
Adriano Celentano

Mit dem Clan macht er bereits 1964 seinen ersten Film, "Super rapina a Milano". Seither reüssiert er als Regisseur, Produzent und oft selbstironischer Hauptdarsteller, gerne mit der von ihm auch abseits der Dreharbeiten verehrten Ornella Muti, von überwiegend leichtgewichtigen Filmen wie "Bingo Bongo" oder "Wer hat dem Affen den Zucker geklaut?" (das im Original wenigstens noch "Grand Hotel Excelsior" heißt). "Yuppi du" mit Charlotte Rampling schafft es 1975 immerhin ins Cannes-Festival. Bei anderen Projekten hat er bei den Kritikern und kommerziell weniger Glück. Mit "Joan Lui" (1985) etwa versenkt er fast 20 Milliarden – zwar nur Lire, aber immerhin.

Celentano und Ornella Muti in "Innamorato pazzo" / "Gib dem Affen Zucker" (1981): 55 Sekunden über die Unmöglichkeit eines vernünftigen Dialogs.
Andrea Serra

Es ist schwer auszumachen, ob es eher die Ohrwürmer sind, die Filme oder einfach das Klischee des sympathischen Italieners, jedenfalls hat Celentano spätestens in den Achtzigern in halb Europa einen Namen, auch und besonders in der Sowjetunion. Dort bekommt er Preise und Konzertauftritte; der russische Wikipedia-Eintrag "Адриа́но Челента́но" ist mit rund 13.000 Wörtern fast so lang wie der italienische.

Auch in der Sowjetunion beziehungsweise in Russland war und ist Celentano ein Star (ab 1:18).
MrGAMEP77

Als ob er nicht schon genug zu tun hätte, sorgt er in seiner Heimat auch noch regelmäßig im Fernsehen für Aufregung. Er benimmt sich gerne wie ein Partycrasher, dem die gesellschaftlichen Regeln egal sind: fordert mitten in einer Show seine Zuschauer auf, nicht nur in einer Volksabstimmung gegen die Jagd zu votieren, sondern auch noch "Die Jagd ist gegen die Liebe" auf den Zettel zu schreiben (was die Stimme eigentlich ungültig macht); dreht minutenlang den Rücken zum Publikum, weil ihm langweilig ist; sucht herum, welche Kamera auf ihn gerichtet ist; fragt einen geduldigen David Bowie, ob es eine Zukunft gibt.

Celentano mit David Bowie im italienischen Fernsehen.
La Tiz

Angeblich soll der englische Star hinterher gesagt haben, er habe gleich gemerkt, dass er es mit einem Deppen zu tun hat. Aber immerhin holt der Depp prominente Gäste vor die Kamera und vergnügt sich mit ihnen. Die enormen Einschaltquoten geben ihm recht und erlauben ihm, es immer bunter zu treiben. Große Zahlen hat er ja schon gemocht, als er behauptet hat, er küsse seine Freundin 24.000 Mal. Nun stellt er fest, was ihn alles ärgert, der Klimawandel (immerhin bereits 2001!), die Politik sowieso, die Umweltzerstörung und so viele andere Dinge, dass er eine seiner Shows im Rai-TV "125 milioni di caz..te" nennt, was mit "Schweinereien" nur ungenügend übersetzt ist und im Original durch Punkte entschärft werden muss. In Montreux bekommt er 1999 die Goldene Rose für eine TV-Show mit dem Celentano-typischen Titel, dass ihm offen gesagt alles wurscht ist: "Francamente me ne infischio".

Mit "Chi non lavora non fa l'amore" / "Wer nicht arbeitet, darf auch nicht Liebe machen" gewann Celentano 1970 das Musikfestival Sanremo. Beim ersten Hinhören ist es eine antigewerkschaftliche Polemik gegen die Streikwellen in Italien, aber dann doch etwas differenzierter.
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Vom Sieg beim Festival di Sanremo 1970 abwärts hat Celentano so gut wie alles abgeräumt, was es in Italien an Preisen im Showbusiness zu gewinnen gibt. Zwischendurch, etwa um die Jahrtausendwende, wird es ruhiger um ihn. Aber immer wieder erfindet er sich und seine Karriere neu. Einmal ist ihm danach, einen Rapper zu imitieren, oder er holt den großen Jazzpianisten Chick Corea zu sich ins Studio und gibt ihm im Album "Per sempre" (2002) viel Raum für Improvisationen.

Das erstaunlichste Comeback gelingt ihm mit Mina, ebenfalls seit Jahrzehnten ein Fixstern am italienischen Schlagerhimmel (im kommenden März wird sie 78). Schon vor fast einem halben Jahrhundert sind sie gemeinsam aufgetreten, zwischendurch haben sie Hits im apulischen Dialekt seiner Eltern lanciert. 2016 wird ihr "Le migliori" zum meistverkauften Album des Jahres. Im vergangenen Dezember legt das Duo Mina/Celentano noch eins drauf: "Tutte le migliori", all die Besten von gestern und heute.

Es ist wieder scheinbar leichte, doch ausgeklügelte Unterhaltungskunst. Es bestätigt, was Celentano mit seinen 200 Millionen verkauften Tonträgern zum modernen Botschafter einer alten italienischen Lebensweisheit gemacht hat: dass man sich trotz aller Unzulänglichkeiten und Widrigkeiten immer noch arrangieren und über sie lachen und singen kann. Buon compleanno, Adriano! (Michael Freund, 6.1.2018)