Der religiöse Führer Ayatollah Ali Khamenei bei den Nowruz-Feierlichkeiten 2017 in Mashhad. In der Stadt, in der sich der einzige Schrein eines schiitischen Imams im Iran befindet, liefert sich Präsident Rohani politische Gefechte mit den klerikalen Politikern.

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Auf den ersten Blick richten sich die vergangene Woche ausgebrochenen iranischen Proteste gegen die allgemeine Misswirtschaft und Korruption und in weiterer Folge auch gegen das Regime selbst. Gleichzeitig sind die Proteste auch ein Symptom für die Spaltung innerhalb des Regimes. Dafür sprechen die Slogans gegen Präsident Hassan Rohani während der ersten Phase der Proteste und ihr Ausgangspunkt: Mashhad.

Die Stadt beziehungsweise zwei ihrer wichtigsten klerikalen Politiker – nämlich der unterlegene Präsidentschaftskandidat Ebrahim Reisolsadati, genannt Reisi, und sein Schwiegervater Ayatollah Alamolhoda – haben gegen die Regierung Rohani von Anfang an opponiert. Hintergrund ist Rohanis idealistischer Versuch, die Rechtsstaatlichkeit und Transparenz im Iran zu stärken und eine gemäßigte Außenpolitik zu führen.

Damit würde Rohani den Einfluss radikaler Splittergruppen, der sogenannten Hezbollahis, auf die staatlichen Institutionen und ihren Anteil an der halbstaatlichen Wirtschaft verringern. Ein wichtiges Zentrum dieser Gruppen ist die Stadt Mashhad und das Wirtschaftsimperium der Stiftung ihres Schreins, der sogenannten Astan-e Qods-e Razavi. Der Schrein des Imam Reza ist nicht nur als Wallfahrtsort wichtig, sondern gleichzeitig auch einer der größten Arbeitgeber und Grundbesitzer in der gesamten Region.

Zum Nachteil von Mashhad

Die Wirtschaftsreformen, die Rohani anzugehen versucht, würden zu mehr Transparenz führen und die Wettbewerbsvorteile der zahlreichen frommen Stiftungen deutlich verringern oder gar zunichte machen, wovon der Schrein in Mashhad ebenso betroffen wäre wie das Wirtschaftskonglomerat der Revolutionsgarden.

Widerstand gegen die Pläne Rohanis, der seine Gedanken in den Jahren vor seiner Präsidentschaft in mehreren Büchern dargestellt hatte, gab es vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an. So führte Ayatollah Alamolhoda einen jahrelangen Kampf gegen Rohani, indem er etwa Konzerte, die zuvor von den Behörden genehmigt worden waren, verbieten und von Schlägertrupps – den Hezbollahis – stürmen oder verhindern ließ. Explizites Ziel dieser Maßnahmen vonseiten des Ayatollah waren weniger die Konzerte selbst als die Verteidigung eines Prinzips der islamischen Herrschaft im Iran: die religiös kaschierte Unberechenbarkeit gewalttätiger radikal schiitischer Gruppen zu verteidigen.

Diese sogenannten Hezbollahis nehmen auf Zuruf einiger Ayatollahs das Recht in die eigene Hand und gehen mit Gewalt gegen Andersdenkende vor. Sie sind auch für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Iran verantwortlich.

Rohani gelang es letztendlich, sich gegen den Ayatollah durchzusetzen, ohne jedoch die Hauptmisere der Islamischen Republik, nämlich die Existenz dieser Gruppen, aus der Welt geschafft zu haben. Trotzdem stellt Rohani aufgrund seiner nach wie vor vorhandenen Popularität. kombiniert mit seiner Erfahrung im iranischen Sicherheitsapparat, für sie die bisher größte Gefahr dar.

Chance, Rohani zu schaden

Will man Rohani und seine Unterstützer im Regime handlungsunfähig machen oder gar stürzen, muss zuerst sein Ansehen in der Bevölkerung zerstört werden. Dafür bietet die allgemeine Unzufriedenheit im Lande, die auf die Euphorie nach dem Abschluss des Nuklearabkommens folgte und durch regionale Katastrophen wie das Erdbeben in Kurdistan oder die ökologische Krise in Khuzistan noch verschärft wurde, in mehrerer Hinsicht eine einmalige Chance.

Zu Beginn der Proteste, also als die Slogans noch "Tod für Rohani" lauteten, verhielt sich der Präsident erwartungsgemäß zurückhaltend. In dem Maße, in dem sich die Proteste ausweiteten und das Regime als solches infrage gestellt wurde, wurde der Sicherheitsapparat nervöser.

Spezialfall Kermanshah

So bekamen die Proteste in Kermanshah, wo die Wut der Bevölkerung auf den ineffizienten Staat nach dem Erdbeben besonders groß ist, eine eigene kurdisch-nationalistische Note. In Teheran wiederum kamen Forderungen und Symbole der zerstörten "Grünen Bewegung" wieder zum Vorschein. Das alles führte erwartungsgemäß zum Einsatz jener gefürchteten Hezbollahi-Schlägertrupps, deren Einfluss Rohani eigentlich zurückdrängen wollte.

Rohani bleiben damit nur schlechte Optionen: entweder energisch durchgreifen, womit er seine eigene Reputation zerstört, oder sich zurückhalten und zusehen, wie die Gewalt zunimmt und immer mehr Gruppen auf beiden Seiten das Recht in die eigene Hand nehmen.

Noch ist es zu früh, den Ausgang der Proteste abzuschätzen – aber ein Resultat lässt sich jetzt schon feststellen: Auch wenn keine geeinte und gut organisierte Protestbewegung die Existenz des Regimes ernsthaft bedroht, sind doch die Spannungen innerhalb des Regimes umso deutlicher hervorgetreten. Die Auseinandersetzung zwischen Vertretern der permanenten islamistischen Revolution wie Reisi und Anhängern eines islamischen Rechtsstaats, vertreten durch Präsident Hassan Rohani, gibt es zwar, seitdem die Islamische Republik besteht, das Regime hat jedoch immer größere Schwierigkeiten, diese zu meistern. (Walter Posch, 1.1.2018)