Der OGH hob das Urteil auf. Der Prozess hätte genau genommen gar nicht in Tirol stattfinden dürfen.

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Innsbruck/Wien – Es ist ein in vielerlei Hinsicht besonderer Fall, der nun erneut in Innsbruck verhandelt werden muss. Im Mai dieses Jahres stand dort ein 27-jähriger Asylwerber palästinensischer Abstammung aus Syrien wegen 20-fachen Mordes vor dem Schwurgericht. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, wogegen seine Verteidiger eine Nichtigkeitsbeschwerde einlegten, welcher der Oberste Gerichtshof (OGH) nun stattgegeben hat.

Nur Dolmetscher war Zeuge

Grund für die Beschwerde war, dass sämtliche ihrer Beweisanträge vor Gericht zurückgewiesen wurden, wie Anwalt László Szabó erklärt. Was besonders schwer wiegt, weil die Mordanklage allein auf der angeblichen Aussage des Angeklagten selbst vor einem Polizeidolmetscher beruht. Der Syrer hat die ihm unterstellte Aussage zwar schon bei der ersten Anhörung widerrufen, der Dolmetscher blieb jedoch dabei, dies so gehört zu haben. Somit stand im Prozess Wort gegen Wort.

Dass es überhaupt zu einer Verhandlung in Österreich kam, liegt daran, dass man anfangs von terroristischen Taten ausging. Ein Landsmann hatte den Syrer bei den Behörden in Tirol gemeldet, wo er als Asylwerber untergebracht war, weil er ihn als Mitglied einer Miliz wiedererkannt haben wollte. Der beim folgenden Verhör anwesende Verfassungsschutzbeamte spricht kein Arabisch und war daher auf die Übersetzung des Dolmetschers angewiesen. In dieser wird behauptet, der Angeklagte habe gestanden, 20 wehrlose Soldaten des Assad-Regimes erschossen zu haben. Eine Aufnahme des Verhörs gibt es nicht.

Verständigungsschwierigkeiten

Weil es weder Opfer noch einen genauen Tatzeitpunkt gibt, sondern nur das angebliche Geständnis des Angeklagten, gestaltete sich der Prozess schwierig. Hinzu kamen Verständigungsprobleme, weil der Syrer auch kein Englisch spricht. Die Verhandlung musste mehrmals vertagt werden, nachdem er auf der Anklagebank zusammengebrochen war.

Strafverteidiger Szabó kritisierte schon damals das Erstgericht, weil seine Beweisanträge nicht zugelassen wurden. Er forderte etwa die Vernehmung der Schwester und der Mutter des Angeklagten, weil diese bezeugen könnten, dass er zum behaupteten Tatzeitraum gar nicht mehr in Syrien gewesen sei, sondern bereits in die Türkei geflohen war. "Bei der Neuauflage des Prozesses müssen nun die Entlastungszeugen gehört und die Kontrollbeweise zugelassen werden", ist sich Szabó sicher.

Kein terroristischer Mord

Darüber hinaus werde sich das Gericht intensiv mit Syriens Rechtslage beschäftigen müssen: "Denn der Aspekt des terroristischen Mordes fiel in der Anklage bereits weg." Die Miliz, bei der der Angeklagte gewesen sein soll, wurde vom eigens berufenen Sachverständigen, einem Berater der deutschen Bundesregierung, der Freien Syrischen Armee zugeordnet. Daher müssen die vorgeworfenen Morde nun nach geltendem syrischen Recht bewertet werden, inklusive aller im Kriegsfall geltenden Amnestien und Rechtfertigungsgründe.

Anwalt Szabó schließt Schadenersatzforderungen nicht aus: "20 Morde mit Tatort Syrien, dazu ein Angeklagter, der seit zwei Jahren in U-Haft sitzt. Wir werden sehen, wie es weitergeht." (Steffen Arora, 29.12.2017)