Der Künstler als Schamane, das ist wohl das geläufigste Bild von Joseph Beuys (1921–1986). Beuys, der, den Kopf mit Honig und Blattgold bedeckt, dem toten Hasen die Bilder erklärte oder verkleidet wie ein Schäfer mit Hirtenstock und Filzumhang mit dem Kojoten spielte. Tiere waren für ihn Genies der Intuition, die uns schmerzlich daran erinnern sollten, wie verkümmert unsere eigenen Fähigkeiten sind.

Besen verwendete Beuys als Werkzeug für symbolische Reinigungsprozesse: "Silberbesen und Besen ohne Haare" (1972)
Foto: © M HKA

Aber Beuys verneigte sich nicht nur vor Tieren oder Pflanzen, sondern auch vor Dingen und Materialien, die vielen Menschen zu einfach, zu banal erschienen. Er ließ Fett, Filz, Erde zu Plastiken werden, befreite sie vom engen funktionalen Blick, lud sie magisch auf.

Joseph Beuys: "Capri-Batterie" (1985). Beuys verdeutlicht mit der Zitrone als Energiequelle für die gelbe Glühbirne die Tatsache, dass alle Formen der Energie aus der Natur bezogen werden.
Foto: © M HKA

Eine oft rätselhafte und irritierende, oft auch von dunkler Schönheit erfüllte Kunst entstand. Oft – zurückzuführen auf die Erfahrungen im Krieg, seinen Flugzeugabsturz auf der Krim und die Erkenntnis der eigenen schuldhaften Verwicklung – kreiste sie um die Begriffe Einsamkeit, Tod, Verwundung und gleichzeitig um die Erfahrung von Wärme, Rettung und Heilung.

Jeder kann sich beteiligen

Beuys revolutionierte alles, was man sich bis dahin unter Kunst vorstellte. Am radikalsten vielleicht mit dem Begriff der sozialen Skulptur: "Hier wird angestrebt, eine Kunstdisziplin ins Leben zu rufen, bei der sich im Prinzip jeder lebende Mensch beteiligen kann", sagte er. Eine Idee, die ihn später auch in die Politik treibt. Beuys wird Gründungsmitglied der Grünen, aber die Zumutungen der Realpolitik zermürben ihn.


1979 gestaltete Joseph Beuys ein Wahlplakat für die Grünen. Von der Realpolitik wurde er aber bitter enttäuscht. Im Zentrum des Plakats ist eine kleine Arbeit von Beuys aus den frühen 1960er Jahren zu sehen, die den Titel "Der Unbesiegbare" trägt: Der Plastilin-Hase zeigt keine angst gegenüber seinem Aggressor.
Foto: Feßler

Bei der Frage, wie und warum Beuys heute, mehr als 30 Jahre nach seinem Tod, für eine neue Generation relevant sein kann, steht immer weniger der spirituelle, sondern der politische Beuys im Fokus. Regisseur Andres Veiel konzentrierte sich 2017 in seiner Kino-Dokumentation Beuys auf dessen Gedanken einer greifbaren Utopie. Auch Grüße vom Eurasier im Antwerpener Museum für zeitgenössische Kunst (MuHKA) interessiert sich für den (kultur)politischen Horizont im Œuvre Beuys’.

Joseph Beuys: "Grond" (1980-81)
Foto: © M HKA

Für Kurator Nav Haq war Beuys jemand, der gegen das Logische und die Hegemonie der Moderne arbeitete, also gegen Prinzipien wie jene des Neoliberalismus, des Individualismus, der Säkularität, des Kapitalismus als Religionsersatz und der monolithischen Erzählung von Kunst und Kultur. Für Haq sind das eurozentrische Prinzipien. Beuys verkörpere daher auf eine Art die Antimoderne.

Joseph Beuys: "Eurasienstab" (1968-69)
Foto: © M HKA

Ost und West

Der "Eurasier" wie er in vielen Arbeiten Beuys’ auftaucht, hatte nichts mit der kolonialen Begriffsdefinition gemischter Ethnien zu tun. Ein Eurasier im Beuys’schen Sinne ist vielmehr jemand, der die Unterscheidung zwischen Asien und Europa, Ost und West missachtet. Beuys, der bereits 1963 die Partei Eurasia gegründet hatte, verwendete den Begriff mit der Absicht, einen Zusammenschluss beider Kulturen zu fordern. Er ging davon aus, dass durch eine Vereinigung der von rationalistischen Prinzipien geleiteten westlichen und der mehr spirituell geprägten östlichen Kultur die Welt vor dem totalen Materialismus und ihrem zwangsläufigen Untergang gerettet werden könne.

Die Performance Eurasienstab ist daher auch zentral präsentiert: Ursprünglich am 2. Juli 1967 in Wien in der Galerie Nächst St. Stephan aufgeführt, wurde sie allerdings erst bei der Wiederholung in der Antwerpener Galerie Wide White Space filmisch dokumentiert. Beuys trägt den an den Stab der Hirten, Schamanen und Priester erinnernden "Eurasienstab" von Ost nach West; mit Orgelklängen Henning Christiansens wird daraus ein feierlicher Ritus.

"Honigpumpe am Arbeitsplatz" (1974-77) entstand für die Documenta 1977, Installationsansicht in der Ausstellung "Greetings from the Eurasian" im Museum für Gegenwartskunst Antwerpen 2017
Foto: © M HKA

Unter den zahlreichen Plakaten, Tondokumenten, Zeichnungen und Plastiken der umfassenden Schau ist auch eine von Beuys’ ikonischsten Arbeiten, die Installation Honigpumpe am Arbeitsplatz von der Documenta 1977. Allerdings ist sie, wie so vieles in Grüße vom Eurasier, nur ein stummes Relikt einer einst vitalen sozialen Plastik. "Durch Menschen bewegen sich Ideen fort, während sie in Kunstwerken erstarren und schließlich zurückbleiben", lautet ein Zitat auf einem Exponat. Ausgerechnet Beuys selbst bringt quasi auf den Punkt, warum im Verlieren des Unmittelbaren seine Arbeit oft so stumm wird. (Anne Katrin Feßler aus Antwerpen, 1.1.2018)