Noch vor einer Woche hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker durchklingen lassen, dass er ein Verfahren gegen die polnische Regierung wegen deren Verstößen gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit in der Union am liebsten vermeiden würde. Als Bürger des kleinen, friedlichen Luxemburg habe er etwas gegen "Nuklearwaffen". Dennoch hat die EU-Kommission nun jenes berühmt-berüchtigte Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags eingeleitet, das seit zwei Jahren in der Luft lag.

Unter Europaexperten wird dieses Rechtsinstrument als "juristische Atombombe" gehandelt, weil die Sanktion gegen ein EU-Mitgliedsland für dieses katastrophale imagemäßige und politische Folgen hätte: einen Entzug der Stimmrechte bei gemeinsamen Ratsentscheidungen.

Das kommt dem Ausschluss aus der Gemeinschaft gleich. Aber ein geringeres Mittel kennen die EU-Verträge nicht, wenn ein Land bei der Unterwerfung von Höchstgerichten die EU-Rechtsordnung "systematisch verletzt". Das sei auch gut so, die Strafe müsse in diesem Fall ordentlich schmerzen, meinen Kritiker der Rechtsnationalen. Es gibt dabei aber ein doppeltes Problem: In Zeiten des Brexits ist eine Spaltung in der Union nicht gerade günstig, lautet auch Junckers Argument. Und: Um das Verfahren zu Ende zu bringen, müssten die EU-Staaten einstimmig entscheiden – wegen eines Vetos aus Ungarn ist das unwahrscheinlich. Die Kommission könnte am Ende zahnlos dastehen. (Thomas Mayer, 20.12.2017)