Wien – Ein "erstaunliches Maß an Ignoranz und Inkompetenz" steckt für den Bildungswissenschafter Gottfried Biewer von der Uni Wien in jenen Passagen des Regierungsprogrammes, die sich mit dem Thema Sonderpädagogik befassen. So stünden etwa "Erhalt und Stärkung des Sonderschulwesens" im Gegensatz zur UN-Behindertenrechtskonvention. Auch die Lebenshilfe Österreich pocht auf den Erhalt inklusiver Bildung.

Die Äußerungen in den Plänen der Regierung seien "offensichtlich ohne die Zuhilfenahme jeglicher fachlichen oder wissenschaftlichen Expertise" zustande gekommen, so Biewer in einer der APA vorliegenden Stellungnahme. Österreich habe sich im Zuge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtkonvention dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu gewährleisten. Erhalt und Ausbau der Sonderschulen laufe dieser Zielsetzung "diametral entgegen".

"Gravierende Mängel"

Obwohl man den im Regierungsprogramm enthaltenen Grundsätzen "gleichberechtigte Teilhabe" und "Selbstbestimmung" zustimme, ortete auch die Lebenshilfe Österreich in einer Aussendung "gravierende Mängel" bei den Regierungsplänen. Die Stärkung der Sonderschule oder der geplante Ausbau von Hochbegabten-Schulen seien "ganz sicher nicht der richtige Weg", um allen Kindern die möglichst beste Bildung zukommen zu lassen, so Lebenshilfe-Präsident Germain Weber: "Alle Kinder sollten von Anfang an und bis hin zur tertiären Bildung in eine gemeinsame Schule für alle gehen, die viele unterschiedliche und individuelle Möglichkeiten zur Unterstützung und Förderung zulässt.(...) Besser ein Gebäude mit vielen Zimmern als viele Gebäude mit vielen verschiedenen Ein- und Ausgängen."

Als ebenso "problematisch" sowie "nicht konventionskonform" bezeichnet Biewer, der seit 2004 die Professur für Sonder- und Heilpädagogik der Universität Wien innehat, die Regierungspläne zur "Präzisierung der Kriterien für Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf in anderen Regelschulen". Menschen mit Behinderung hätten "ein Recht auf Besuch der regulären Schule". Das scheitere zwar oft daran, dass die Voraussetzungen an den Schulen nicht gegeben sind. "Statt nach Problemlösungen in der Schule zu suchen, werden die Grenzen schnell im Schüler gesehen, der als nicht inkludierbar betrachtet wird", so der Wissenschafter, der in den Passagen im Regierungsprogramm eine "Gefährdung der Bildungsinteressen und Rechte behinderter Menschen" sieht. (APA, 19.12.2017)