Jugendliche in Nordrhein-Westfalen bestaunen die Lichtstimmung über dem Ruhrgebiet. Vergleichsweise viele von ihnen machen eine Lehre in einem Industriebetrieb.

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Wenn ausländische Delegationen nach Österreich kommen, präsentieren heimische Diplomaten und Wirtschaftsvertreter gern die duale Berufsausbildung als Erfolgsmodell. Eine betriebliche Lehre anzupreisen, während weltweit immer mehr junge Leute einen Hochschulabschluss anstreben, wirkt außerhalb des deutschsprachigen Raums wie ein Anachronismus.

Nun erhält die hiesige Berufsausbildung Rückenwind von einem internationalen Forscherteam rund um den Ökonomen Joshua Aizenman von der University of Southern California. Dessen Fazit aus Fallstudien sowie einem Vergleich von 21 Ländern: Investitionen in Berufsausbildung sind oft effektiver als Förderungen von Hochschulabschlüssen, um die Einkommensungleichheit zu reduzieren und niedrige Einkommen zu stützen. Beispielhaft sind die Entwicklungen in den USA im Vergleich zu Deutschland.

Rostgürtel versus Ruhrpott

Die Weltwirtschaftskrise ist überwunden. Robustes Wachstum und steigende Realeinkommen stimmen zuversichtlich, auch in dem Land, von dem der große Crash ausging. Nach langen Jahren der Stagnation sind im Vorjahr die realen Medianeinkommen in den USA über ihren früheren Höchstwert aus dem Jahr 1999 gestiegen. Niedrige Einkommen haben sich jedoch schlechter entwickelt, die Ungleichheit ist somit gestiegen.

Einst florierende Produktionsgebiete im sogenannten Rostgürtel der USA, in denen Jobs durch Automatisierung sowie zu einem geringeren Grad durch Verlagerungen in Schwellenländer verlorengingen, zeugen vom Niedergang der nationalen Industrie. Ein Phänomen, dem Präsident Donald Trump mit Protektionismus und seiner "America First"-Strategie Herr werden will. In diesem politischen Narrativ gelten Deutschland und China als Bösewichte, deren Industrie als Sieger der Globalisierung dasteht, erklärt Aizenman.

Tatsächlich ist die Beschäftigung in der deutschen Industrie über die Jahre etwas stärker zurückgegangen als in den USA. Beide Länder liegen hier ganz im globalen Trend. Was sie unterscheidet, ist der Beitrag zur Wirtschaftsleistung des verarbeitenden Gewerbes. Seit 1997 trägt die deutsche Industrie rund 26 Prozent zum Bruttonationalprodukt bei. Im selben Zeitraum sank die Wertschöpfung der US-Industrie auf gut 16 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Facharbeiter gefragt

Für die Entwicklung machen die Ökonomen strukturelle Faktoren, aber auch die Politik verantwortlich. Vor allem in der Ausbildung offenbaren sich Unterschiede. So liegt der Anteil der Bevölkerung mit Hochschulabschluss in den USA bei knapp 45 Prozent, während lediglich ein gutes Viertel der Deutschen auf einer Uni oder Fachhochschule war.

Umgekehrt liegt der Anteil der Deutschen mit sekundärem Abschluss, zu dem die Berufsausbildung zählt, um 15 Prozentpunkte über den USA. Im niedrigsten Bildungsbereich schneiden die USA wiederum etwas besser ab. Insgesamt sind die Amerikaner also formal höher qualifiziert. Angesichts der besseren Leistung der deutschen Industrie dürfte die duale Ausbildung jedoch besser auf einen modernen Produktionsbetrieb vorbereiten, schließen die Ökonomen.

Überschätzte Diplome

Der Hochschulsektor in den USA leide dagegen unter Überinvestition, so Aizenman. Das erwartete Mehreinkommen durch einen Uni-Abschluss wird von vielen Hochschülern in den USA überschätzt.

Viele Jugendliche verschulden sich daher übermäßig. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu Hypotheken und Kreditkartenschulden die Verpflichtungen gegenüber der Uni nicht getilgt werden, wenn jemand Privatkonkurs anmeldet. Doch auch für niedrig qualifizierte US-Jugendliche fehle der Zugang zu einer Berufsausbildung.

Ein Vergleich von 21 Industrieländern bestätigt den Befund. In Ländern mit besser ausgebauter Berufsausbildung ist der Einkommensanteil der ärmsten Arbeitnehmer messbar höher. Interessanterweise geht nicht nur eine bessere Berufsausbildung mit einem stärkeren Industriesektor Hand in Hand, beide Faktoren korrelieren mit einem geringeren Einkommensanteil der reichsten zehn Prozent.

Sprich: Je stärker der Industriesektor in einem Land, desto mehr profitieren geringer qualifizierte Bevölkerungsschichten vom Zugang zur Berufsausbildung wie der Lehre. Das wiederum schmälert die Einkommenslücke zwischen Arm und Reich, so Aizenman. (Leopold Stefan, 12.12.2017)