Machen wir ein kleines Sozialexperiment. Wir gehen nicht an die Grenzen. Und schon gar nicht darüber hinaus. An die Intensität von "Die Welle" kommt das Experiment auch nicht heran. Unangenehm wird es trotzdem.

Drehen wir doch die Vorgehensweise gewisser Gratisblätter einfach um. Behaupten wir, Herr F. hätte offenbar Krätze am Allerwertesten. Ganz widerlich. Schwer ansteckend. Eigentlich sei er deswegen richtig gesundheitsgefährdend, dieser Herr F. Eine Gefahr für die Allgemeinheit! Gesehen habe man diese zwar nicht selbst, aber es hätte sich jemand gemeldet, der das einwandfrei beweisen könne. Sogar die Cousine vom Bruder des Bäckers vom Beisl ums Eck könne das bezeugen. Riesig! Eitrig! Grauslich!

Das drucke man also ab. Den Artikel teilt ein Politiker, der F. nicht leiden kann. Er fügt noch ein "Irrsinn! Was sagt ihr bloß dazu?" hinzu. Unter dem verlinkten Artikel bricht nun ein fäkaler Empörungssturm los, der sich bis hin zu tätlichen Drohungen gegen den Betroffenen auswächst.

Herr F. würde vermutlich erst bestürzt sein und anschließend versuchen, seine Unschuld zu beweisen. Vielleicht bietet er eine Veröffentlichung der ärztlichen Untersuchung an. Zwar ist es unangenehm, mit solchen Details überhaupt an die Öffentlichkeit zu gehen, aber immerhin entlastend.

Zu spät. Der Artikel wandert weiter durch die Medienwelt. F.s Arzt beteuert nun, sein Patient sei vollkommen gesund. Der Artikel geht offline. Die Printversion kann man nicht mehr rückgängig machen, ebenso wilde Gerüchte und Behauptungen in RL und Social Media, die sich ab sofort um das Thema "Der Allerwerteste vom F." ranken werden. Der Hass, der F. entgegenschlägt, ist durch die Richtigstellung nicht unbedingt kleiner geworden. Wird schon irgendwie stimmen, wenn doch schon alle darüber geschrieben haben. Und wenn es nicht stimmen sollte: selber schuld, irgendwie.

Das Schöne an diesem Experiment: Es wird nie wirklich geschehen.

Ganz im Unterschied zu dem, was Herr F. immer wieder drucken lässt. (Julya Rabinowich, 8.12.2017)