Plastisch gewordene Melancholie: George Segals "Woman in a Restaurant Booth" (1961).


Foto: Mumok

Wien – Eine zentrale Arbeit der Ausstellung Kunst ins Leben! geht auf ein Abendessen im Hause Hahn am 23. Mai 1964 zurück. Die Gäste, namhafte Persönlichkeiten des Kulturlebens in Köln und Düsseldorf, waren angehalten worden, ihr Geschirr selbst mitzubringen. Es sollte eines von Daniel Spoerris berühmten "Fallenbildern" entstehen: Zum Abschluss des Mahls befestigte der Künstler und "Regisseur" jenes Abends Essensreste, Flaschen, Geschirr, aber auch Zigarettenschachteln auf der Tischplatte.

Heute erzählen Aktionen wie diese von der Zusammenführung von Kunst und Leben, aber auch von der Neugier eines Sammlers, der sein Haus für Experimente öffnete. Als Chefrestaurator am Wallraf-Richartz-Museum ging es Wolfgang Hahn offenbar nicht nur um den Erhalt von Werken, sondern auch um die Weiterentwicklung der zeitgenössischen Kunst. Neben Fluxus und Konzeptkunst sammelte er Pop-Art, Nouveau Réalisme sowie Film- und Fotodokumentationen von Performances, deren Bedeutung ihm schon früh bewusst war. Und dies nicht nur im Hinblick auf die Kunstgeschichte, wiewohl auch Kunsthistoriker etwa durch die Lettres Ouverts von Marcel Broodthaers an Joseph Beuys spannende Einblicke erhalten: "Unsere Beziehung ist schwierig geworden", ließ Broodthaers den Künstlerkollegen wissen. Er selbst übernahm in den Briefen die Rolle des Operettenkomponisten Jacques Offenbach, während er Beuys mit Richard Wagner verglich und ihn dieserart sehr elegant als Realpolitiker kritisierte.

In der Sammlung sind beide Künstler vertreten: Broodthaers mit Sätzen wie Idée pour un mot (Idee für ein Wort), die die Konzeptkunst kritisierten; Beuys mit einer angekohlten Tür, die er Hahn für seine erste Ausstellung im Jahr 1968 überließ. Darauf montiert sind Hasenohren sowie ein Reiherschädel als schamanische Symbole.

Zehn Jahre später wurde die – bis dahin um bedeutende Werke von John Cage, Allan Kaprow, Claes Oldenburg, Yoko Ono, Nam June Paik, Lil Picard, Dieter Roth und anderen erweiterte – Sammlung von der Republik Österreich angekauft. 385 Werke umfasste das damalige Konvolut, das man 2003 durch den Ankauf der schon bestehenden Leihgaben von Hildegard Helga Hahn sowie durch die Hinzunahme von Hahns Bibliothek und Archiv komplettierte.

Der Schwerpunkt der Mumok-Sammlung verlagerte sich durch die Sammlung Hahn auf die medien- und gesellschaftskritische Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre, was in der Ankaufspolitik und der Ausstellungstätigkeit des Museums nach wie vor sichtbar ist.

Da sich Wolfgang Hahn nicht auf eine bestimmte Kunstrichtung festlegen ließ, bot die Sammlung auch viele Anknüpfungspunkte. Susanne Neuburger, Kuratorin der Ausstellung, hat dieser Offenheit gemeinsam mit den Künstlerinnen Eva Chytilek und Jakob Neulinger nun auch im Ausstellungsdisplay Rechnung getragen: Platziert wurden die Werke in einem Trägersystem, in dem sich sowohl Materialienschwerpunkte als auch thematische Verbindungen zeigen: Neben Organischem wie einer Scheibe Bockwurst (Dieter Roth) wurde etwa auch aus Gebrauchsobjekten wie Ölkanistern (César), einer Brotschneidemaschine (Niki de Saint Phalle) oder einem Klavier (Nam June Paik) ein Kunstwerk gemacht.

"Sex Can Give You Cancer"

Zudem erzählt die Ausstellung von der damals sehr produktiven Annäherung der bildenden Kunst an Disziplinen wie Tanz, Literatur oder Film: Zu sehen ist die Fluxfilm Anthology (1962-1970) von Jonas Mekas oder auch eine Arbeit von Mimmo Rotella, der mit einem Still aus Godards A bout de souffle auf das Bild im Kinoraum referiert. Unbedingt sehenswert ist auch die Arbeit Green Seesaw (1968-69) von Öyvind Fahlström, die einem Storyboard gleicht: Mittels einer instabilen Wippe thematisierte der Künstler den Kalten Krieg, aber auch die gesellschaftliche Prüderie jener Jahre, die sich in den 1960er-Jahren noch in Sätzen wie "Sex Can Give You Cancer" äußerte. (Christa Benzer, Spezial, 7.12.2017)