Keine russischen Flaggen bei den Spielen 2018.

Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

IOC-Präsident Thomas Bach: "Es war ein beispielloser Angriff auf die Integrität der olympischen Bewegung und des Sports."

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Die Entscheidung im Überblick.

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Russland ist im größten Dopingskandal der letzten Jahrzehnte um die Höchststrafe herumgekommen, muss aber kräftig büßen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verzichtete bei seiner Entscheidung am Dienstag auf einen Komplettausschluss für die Winterspiele in Pyeongchang vom 9. bis 25. Februar, traf die Sportgroßmacht aber dennoch an empfindlicher Stelle.

Das Internationale Olympische Komitee hat in der Causa Staatsdoping in Russland wie erwartet durchgegriffen – und Sportlerinnen und Sportlern gleichzeitig eine Hintertür geöffnet.
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In Südkorea wird es keine russische Mannschaft, keine russische Hymne und keine russische Flagge geben. Russische Sportler dürfen nur als neutrale Athleten starten – wenn sie nachweisen können, dass sie nicht Teil des Dopingsystems waren. Diese eingeladenen Aktiven sollen unter dem Namen "Olympischer Athlet von Russland (OAR)" antreten. Diese Bezeichnung ist auch als Aufschrift für die Wettkampfutensilien dieser Sportler vorgesehen. Bei Zeremonien wird für sie die Olympiahymne gespielt werden.

IOC-Präsident: "Angriff auf die Integrität"

"Es war ein beispielloser Angriff auf die Integrität der olympischen Bewegung und des Sports", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Darum habe das Exekutivkomitee ausgewogene Sanktionen für die systematische Manipulation ausgesprochen. "Das soll einen Strich unter die schädliche Episode ziehen und als Katalysator für einen von der Wada geleiteten effektiveren Antidopingkampf dienen", sagte Bach.

Es tue ihm sehr leid für alle Athleten, die unter dieser Manipulation gelitten hätten: "Wir werden nun mit der IOC-Athletenkommission nach Möglichkeiten suchen, um die Momente wiederaufleben zu lassen, die sie auf der Ziellinie oder auf dem Podium verpasst haben."

Das IOC-Exekutivkomitee sah es als erwiesen an, dass Russland während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 mittels eines staatlich gelenkten Dopingsystems betrogen hat. Eine Kommission unter der Leitung des ehemaligen Schweizer Bundesrats Samuel Schmid hatte in den letzten Monaten ermittelt, inwiefern russische Polizei und Geheimdienste beteiligt waren, und ihre Ergebnisse am Dienstag der 14-köpfigen IOC-Exekutive präsentiert – abgeschirmt von den etwa 200 Journalisten aus aller Welt, die in Lausanne auf die Entscheidung warteten.

Stellungnahme aus dem Kreml

Man darf nun gespannt sein, wie Russland auf die Strafe reagiert. Für Mittwoch hat Präsident Wladimir Putin eine Stellungnahme angekündigt. Die russischen Verantwortlichen hatten in der Vergangenheit zwar Fehler im Antidopingkampf eingeräumt, ein staatlich unterstütztes Dopingsystem aber bestritten und die Vorwürfe von Wada-Sonderermitter Richard McLaren und dem Whistleblower Grigori Rodtschenkow als westliche Propaganda bezeichnet.

Von Alexander Schukow, Präsident des Russischen Olympischen Komitees (ROC), hieß es am Dienstagabend, dass die russischen Sportler die Entscheidung vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne anfechten werden.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte am Montag erklärt, dass Russland keinen Boykott erwäge, aber Putins Entscheidungsgewalt betont. Möglicherweise sind die Russen angesichts der Schwere der Vorwürfe bereit, die bittere Pille neutrale Flagge zu schlucken, auch wenn Putin das im Vorfeld als "Erniedrigung des Landes" bezeichnet hatte. Die staatlichen Fernsehsender in Russland werden die Winterspiele jedenfalls nicht übertragen, teilte die Pressestelle der TV-Holding WGTRK am Dienstag mit.

Laut Exekutiventscheid soll Russland bei den Winterspielen in Pyeongchang überhaupt nicht vorkommen. Es wird keine russische Hymne gespielt, außerdem werden keine russischen Embleme zu sehen sein. Zusätzlich wurden die Mitglieder des damaligen Sportministeriums, darunter auch der heutige Vizepremier Witali Mutko, lebenslang von Olympischen Spielen ausgeschlossen. Zudem verhängte das IOC eine Geldbuße in Höhe von 15 Millionen Dollar, die dem Antidopingkampf zugutekommt.

Der Skandal

Die Causa Russland hatte die Sportwelt in den letzten Monaten gespalten. Während sich etliche nationale Antidopingagenturen, Funktionäre und Politiker vornehmlich aus der westlichen Welt für einen Komplettausschluss von den Winterspielen ausgesprochen hatten, warnten große Verbände wie der Eishockeyweltverband vor einer Kollektivstrafe, zumal damit auch unschuldige Athleten bestraft würden.

Der kanadische Sonderermittler McLaren hatte im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Untersuchungen angestellt und Russland in zwei Berichten ein institutionelles Dopingprogramm bescheinigt. In den Jahren 2011 bis 2015 sollen rund 1.000 Athleten davon profitiert haben. Kronzeuge Rodtschenkow, ehemaliger Leiter der Labore von Sotschi und Moskau, hatte verraten, wie bei den Winterspielen in Sotschi Behälter von Dopingproben mithilfe des Geheimdiensts geöffnet und der Urin der Sportler ausgetauscht und manipuliert worden waren.

Strafen folgen

Zuvor hatte bereits die Kommission des Schweizer IOC-Mitglieds Denis Oswald die einzelnen Proben der im McLaren-Bericht aufgetauchten russischen Athleten untersucht und harte Strafen verhängt. 25 russische Sotschi-Starter – darunter drei Olympiasieger – wurden lebenslang für alle Funktionen bei Olympischen Spielen gesperrt.

Oswald berief sich bei seinen Urteilen auf McLaren und Rodtschenkow, was den Handlungsdruck auf die IOC-Exekutive noch verstärkte. Oswalds Untersuchungen umfassen auch forensische Untersuchungen der Dopingproben von Sotschi. Weitere Sperren werden erwartet.

Spannend wird sein, wie der Fußballweltverband auf die Strafe reagieren wird. Die Fifa steht bislang fest an der Seite des WM-Gastgebers Russland – und an der von WM-OK-Chef Mutko. (sid, red, 5.12.2017)