Brynjar Sigurðarson, ein Isländer, und Veronika Sedlmair, eine Allgäuerin, schaffen in Berlin und Island Design, das in einen spannenden Dialog mit der Umgebung tritt.

Foto: Studio Brynjar & Veronika

Design trifft Natur und Geist: Die Kerzen "Glacier" sind kleine Eisberge.

Foto: PCM

Der Tisch stammt aus der Kollektion "Silent Village".

Foto: Fabrice Gousset

"Spectrum" für Swarovski ist ein Briefbeschwerer in Kaleidoskopoptik.

Foto: Swarovski

Das Abbild eines Steins aus Porzellan.

Foto: Simon Rimaz und Myriam Ziehli

In Vopnafjörður gibt es keinen Wasserfall. Keine Geysire, keinen Vulkan, auch keine Gletscherlagune. Vopnafjörður ist in dieser Hinsicht ein ziemlich unspektakuläres Dorf. Es liegt im Nordosten Islands auf einer Landzunge zwischen Héraðsflói und Þistilfjörður, bis zur nächstgrößeren Stadt sind es eineinhalb Stunden. Im Mittelalter machten die Kaufleute der Hanse hier Halt, heute wohnen hauptsächlich Fischer in Vopnafjörður, 500 Leute, es werden von Jahr zu Jahr weniger.

Der Winter ist in Vopnafjörður noch härter und einsamer als in Reykjavík, aber für Brynjar Sigurðarson war es der richtige Ort. Der Isländer, in der Hauptstadt groß geworden, wollte weg aus der Stadt, so weit weg wie möglich. Als er seinem Vater, einem Küsteningenieur, von seinen Plänen erzählt, sagt der: Geh doch nach Vopnafjörður. Er hatte dort gerade Wellenbrecher in den Hafen gesetzt. In Island gibt es kaum einen Fleck, der weiter von Reykjavík entfernt ist.

Brynjar bekommt ein Zimmer im kleinen Hotel, bekommt ein Auto und beginnt im Februar 2011 seine einmonatige Exkursion. So recht verstand dort keiner, was er machte, Brynjar lief herum mit der Kamera, auf der Suche nach dem Besonderen im Verborgenen, der Essenz dieses Ortes. Er nennt das "Exercises". Er spielte Basketball mit dem Priester, dem Feuerwehrmann und dem Arzt, traf Fischer und Bauern, lernte viel über Pelz und Wolle und Fischfang. Eine Woche verbrachte er in der Werkstatt eines 75 Jahre alten Haijägers, der ihm das Knüpfen von Netzen beibrachte. Brynjar und Vopnafjörður wurden eins.

Als er später in der Villa Noailles in Südfrankreich einige harpunenähnliche Objekte ausstellt, die nach seiner Zeit in Vopnafjörður entstanden sind, wird die renommierte Designgalerie Kréo mit Filialen in Paris und London auf ihn aufmerksam und fragt, ob er sich nicht vorstellen könnte, auch Möbel zu machen. Er entwirft die Kollektion "Silent Village": elf Möbelstücke aus Eschenholz, dekoriert mit Tauen, Netzen, Fell – Dingen, die Brynjar auf seinen Reisen fand.

Es sind aus dem Meer emporgestiegene Exponate mit leuchtenden Tauen und Netzen aus Nylon, ein Wust, der sich kunstvoll um sie geschlungen hat. Brynjar sagt: "Dekoration wird reichlich unterbewertet, obwohl Dekoration eine eigene Sprache spricht." Diese Objekte sind abstrakte Gebilde, irgendwo zwischen Schamanenkult und Objet trouvé.

Island trifft Allgäu

Wie sehr ihn Island geprägt hat, das hat Brynjar erst in der Schweiz gemerkt, als er an der bekannten Ecal in Lausanne studiert. "Hier habe ich eine neue Perspektive gewonnen", sagt er, "vorher kannte ich nichts anderes." Hier trifft er auch seine Freundin Veronika Sedlmair, eine junge Frau aus dem Allgäu. Die gelernte Innenarchitektin arbeitete erst in einem Architekturbüro, dann bei der Münchner Schmuckdesignerin Saskia Diez, als deren Team aus gerade mal drei Leuten bestand.

Sie war dabei, als aus Saskia Diez eine international anerkannte Schmuckdesignerin wurde. Jetzt hilft sie Brynjar, seine impulsiven Ideen in die Tat umzusetzen. "Wir lernen uns eigentlich bis heute kennen", sagt Veronika. "Er hat die starke Just-do-it-Mentalität der Isländer, ich bringe Planungssicherheit, deutsche Tugenden."

Zusammen gründen sie das Studio Brynjar & Veronika und suchen sich 2014 eine Wohnung in Berlin. Zum einen, weil es günstig ist, zum anderen, weil die Verbindungen nach Island gut sind. In einem alten Fabrikgebäude im tiefsten Neukölln, wo das raue Herz Berlins schlägt, haben sie sich niedergelassen. "Wir sammeln ständig Dinge. Aus dem Alltag, aus der Natur, aus dem Müll", sagt Brynjar. "Wir haben ein Archiv der ungewöhnlichen Dinge", sagt Veronika, "und übersetzen einige davon in unsere Arbeit."

Auf diese Art entsteht Design, das in einen Dialog mit seiner Umgebung tritt und die Natur reflektiert – manchmal im wahrsten Wortsinne. Mit "Spectrum" hat Studio Brynjar & Veronika für Swarovski längliche, polygone Kristalle entworfen, die zwar als Briefbeschwerer beworben werden, genauso gut aber auch Kaleidoskope sein können. Oder einfach Skulpturen, die das Licht konservieren und Ungesehenes zutage fördern.

"Die wertvollen Momente des Tages", sagt Veronika Sedlmair, "sind die, die uns in unserer täglichen Arbeit unterbrechen, wenn wir etwa die Sonne beobachten. Wir können sie nicht ernten, aber einfangen." So führen sie Swarovski gewissermaßen zur Natur zurück.

Steine aus Texten

Das Duo entwirft Kerzen, die wie Gletscher aussehen ("Glacier Candles" für PCM): eine Anspielung auf die Erderwärmung. Sie schmelzen und verschwinden, ihr Schicksal liegt in der Hand des Besitzers. Ein anderer Entwurf: "Kerns", eine Serie von 53 künstlich hergestellten Steinen für den Händler Thomas Eyck. Die Manufacture royale de porcelaine de Sèvres in Paris hat sie auf Basis von Texten entworfen, die Brynjar & Veronika über gefundene Steine geschrieben haben.

Brynjar Sigurðarson und Veronika Sedlmair sehen sich weder als Designer noch als Künstler. Sie sind: Macher. Sie sind Mittler der Welten, sind Geologen und Anthropologen, die Objekte sprechen lassen. Ihre Arbeit umfasst Zeichnungen, Fotografien, Produkte, aber auch Performances und Filme (ihre Doku "Borgþór Sveinsson" wurde kürzlich in die ständige Sammlung des Wiener Mak aufgenommen). Ein "visuelles Universum", wie Brynjar sagt.

Die Sommer verbringt das Paar zu guten Teilen in Island. In Vopnafjörður werden sie bald Skulpturen errichten, Qigongkugeln am Ufer, leuchtende Bojen, Spiegel am Fjord. "Den Berg zum Leuchten bringen", sagt Veronika. Manche Menschen im Dorf verstehen das noch immer nicht. Brynjar Sigurðarson und Veronika Sedlmair werden mit ihnen reden, ihnen die Symbiose aus Natur und Mensch zu erklären versuchen und ihre Motivation: dem Ort, der ihnen so viel geschenkt hat, jetzt etwas zurückzugeben. (Florian Siebeck, RONDO Open Haus, 10.7.2017)