Er kennt alle Löwen rund um das Shumba-Camp im Kafue-Nationalpark beim Namen: Guide Isaac Kalio.

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Rund 400 Löwen gibt es im Kafue-Nationalpark in Sambia.

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Die Löwenpopulation wird streng überwacht.

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Ganz allgemein ist man stolz auf die Raubkatzen im Nationalpark.

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Einer von zahlreichen Akazienbäumen

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Im Nationalpark ist der größte Artenreichtum an Huftieren südlich des Kongo beheimatet.

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Eine Löwendame besucht das Shumba-Camp.

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Rund um das Shumba-Camp grasen die Zebras.

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Es war der 9. Juli dieses Jahres. Isaac Kalio erinnert sich genau. Nach sieben Monaten bei seiner Familie war er gerade erst wieder nach Kafue zurückgekehrt. Noch immer führten die Flüsse Hochwasser, und große Teile der Ebene standen unter Wasser. Um von der holprigen Buschlandebahn, auf der die winzige Cessna aufsetzt, ins Shumba-Camp zu kommen, mussten die Gäste vom Jeep ins Boot wechseln.

"Es war an diesem strahlend schönen Tag, dass wir Beast zum ersten Mal gesehen haben", sagt der 39-jährige Guide. "Damals hatte er noch Blondie im Schlepptau." Mittlerweile ist der etwa acht- oder neunjährige Löwe, der wie alle erwachsenen Löwen hier einen Namen trägt, ohne seine Gefährtin in dem Gebiet zurückgeblieben. Jetzt liegt er in der Nähe eines kleinen Rinnsals und wird von dutzenden Lechwe-Antilopen misstrauisch beäugt. Immer wieder wirft er sich auf den Rücken, streckt alle viere von sich und hält den geblähten Bauch in die Höhe. Seinen Hunger hat Beast offensichtlich bereits in den Morgenstunden gestillt. "Abstand halten", sagt Isaac, "man weiß nie, was passiert."

Beinahe menschenleeres Gebiet

Anders als die elf anderen Löwen, die derzeit durch das Revier rund um Shumba (der Name bedeutet Löwe) streichen, ist Beast ein einziges großes Fragezeichen. Woher er stammt, wie viele Jahre er auf dem Buckel hat, was seine Gewohnheiten und Eigenheiten sind, darüber kann Kalio nur Vermutungen anstellen. Eines Tages war er einfach da – und brachte das soziale Gefüge der sechs erwachsenen und fünf jungen Löwen durcheinander. "Es gibt bereits einen männlichen Löwen im Revier. Die Frage ist, ob ihn Beast vertreiben oder sich mit ihm arrangieren wird", erklärt Kalio vom Fahrersitz des Jeeps aus. "Und natürlich was mit den Löwinnen und ihren Jungen passiert." Bevor sich ein Löwe mit einer neuen Partnerin paart, beißt er gemeinhin deren Jungen tot.

Seit 2008 kommt der Vater von vier Söhnen und einer Tochter jährlich hierher in den Nationalpark, um Reisenden die Wildtiere, die sich in der Trockenzeit an den Lagunen und am Fluss einfinden, näherzubringen. Gerade einmal fünf Monate dauert die Saison, pünktlich am 1. November werden die wenigen Lodges in dem riesigen, beinahe menschenleeren Gebiet dichtgemacht. Spätestens im Dezember beginnt dann der große Regen, ab Januar steht die Busanga-Ebene unter Wasser und ist nur noch per Boot erreichbar. "Dann ist es selbst für uns schwierig, uns hier zurechtzufinden."

So groß wie Belgien

Kleine Inseln mit ein, zwei Akazienbäumen durchbrechen die unendlichen Wasserflächen, gerade einmal ein, zwei Meter ragen die Landstriche, auf die sich die Tiere zurückziehen, aus dem Wasser. Immer schwieriger wird es dann für sie, Nahrung zu finden. Jetzt, Ende Oktober, führen die Rinnsale kaum mehr Wasser, in den wenigen verbliebenen Tümpeln suhlen sich die Nilpferde. Wohin das Auge blickt, grasen Antilopen, Büffel und Buschschweine, mehrere Schreiseeadler ziehen über das ausgedörrte Grasland. In der Ferne tollen einige Zebras herum. Zwei Elefanten traben mit flottem Schritt vorbei.

Die jährlich überflutete Busanga-Ebene umfasst 750 Quadratkilometer im Nordwesten des Kafue-Nationalparks, der mit seinen 22.000 Quadratkilometern seinerseits zu den größten Parks Afrikas zählt. Damit ist er größer als der etwa weitaus bekanntere Krüger-Nationalpark in Südafrika, der jährlich von rund einer Million Gästen besucht wird. Nach Kafue kommen gerade einmal 10.000, und auch sie verteilen sich so auf das Gebiet (es umfasst beinahe die Größe Belgiens), dass die Wahrscheinlichkeit, einen Löwen zu sehen, größer ist, als die, einem Touristen zu begegnen. "Es ist die Leere, die Weite, die Einsamkeit, die die Menschen hierher zieht."

Acht Vorfälle in der Woche

Und natürlich die Tiere. Zwar wird man kaum tausende Tiere umfassende Herden wie in manch anderen Nationalparks beobachten können, die Diversität an Tieren aber ist enorm. So ist im Nationalpark etwa der größte Artenreichtum an Huftieren südlich des Kongo beheimatet, und auch von den stark gefährdeten Afrikanischen Wildhunden gibt es mehr als sonst wo in Afrika. Wer einen Leoparden in freier Wildbahn sehen möchte, für den stehen in Kafue die Chancen gut. Und dann gibt es natürlich die Löwen: "Ihre Population ist die zweitgrößte von ganz Sambia", sagt Sport Beattie und schaut etwas verkniffen drein. Der Chef der vor drei Jahren gegründeten Organisation Game Rangers International hat die sechsstündige Fahrt durch den Busch auf sich genommen, um den Gästen im Shumba-Camp von der größten Gefahr, der die Tierwelt im Nationalpark ausgesetzt ist, zu erzählen: der Wilderei. "1972 hatten wir acht Vorfälle mit Wilderern", sagt der Endvierziger, "heute acht in der Woche."

Und es werden nur mit enormer Anstrengung weniger. Es fehlen die nötigen Mittel für die Ranger, die den Nationalpark überwachen könnten, der gerade einmal von ein paar Holperwegen durchzogen ist. Um seine Ausmaße zu ermessen, muss man nur aus der Fensterluke der kleinen Cessna blicken, mit der man das Camp von Sambias Hauptstadt Lusaka aus erreicht. Knapp eineinhalb Stunden dauert der Flug, den Großteil davon fliegt man über riesige mäandernde Flusslandschaften und von einzelnen Akazienbäumen durchbrochenes Buschland. Immer wieder trüben Rauchsäulen von Buschfeuern den Himmel. Die meisten von ihnen werden von Wilderern gelegt.

Wildern, um zu überleben

Anders als das Nachbarland Simbabwe ist Sambia (rund 15 Millionen Einwohner) politisch zwar ein stabiles Land, die Armut ist bei weiten Bevölkerungsschichten aber erdrückend hoch. Für sie ist die Wilderei oft das einzige Einkommen, das ihr Überleben sichert. Noch immer basiert Sambias Wirtschaft in erster Linie auf Kupfer (das Land ist der zweitgrößte Exporteur des Schwermetalls), der Tourismus steckt anders als in Botswana oder Südafrika in den Kinderschuhen, die Preise für Safaris sind hoch. Die meisten Gäste besuchen den South Luangwa National Park, nach Kafue verschlägt es wenige. "Der Park war früher einmal das Kronjuwel aller afrikanischer Parks", sagt Beattie, "langsam erholt er sich wieder."

Nashörner gibt es seit einigen Jahrzehnten keine mehr, von den geschätzten 60.000 Elefanten, die noch in den Sechzigern durch die Flusslandschaften zogen, sind nur mehr rund 4.000 übrig. Langsam steigt aber die Population: "Vor zehn Jahren wurde man hier im Park noch regelmäßig von Elefanten angegriffen, heute kaum mehr", sagt Beattie. "Das zeigt, dass Elefanten Menschen nicht mehr automatisch als Feinde sehen." Dennoch geht von Zweibeinern noch viel Gefahr aus.

Stolz auf die Wildkatzen

Buschfleisch zu verzehren ist in Sambia ein Statussymbol, das über offenem Feuer gebratene Fleisch eine Delikatesse, die man sich einer Umfrage zufolge durchschnittlich zweimal im Jahr leistet. Der Handel damit ist aber illegal, Wildfarmen wie etwa in Südafrika gibt es nicht. "Dazu kommt, dass die Einheimischen nicht zwischen dem Fleisch der verschiedenen Tiere unterscheiden, Buschfleisch ist Buschfleisch, egal ob es von einem Elefanten oder einem Löwen stammt", so Beattie. Getötet wird, was vor das Gewehr läuft – bzw. sich in den Drahtfallen verfängt.

Da sich viele Wilderer schlichtweg weder Waffen noch Munition leisten können, sind simple Fallen weitverbreitet. In ihnen verfangen sich natürlich auch Geparden, Leoparden und Löwen, auf deren Population man im Park besonders stolz ist. Auf rund 400 wird die Zahl der Löwen geschätzt, 88 der weiblichen Tiere tragen ein mit einem Sender versehenes Halsband. Damit kann ihr Verhalten besser studiert werden.

Beinahe friedlich

Queen ist eine von ihnen. Sie ist mit ihren elf Jahren die Älteste des Rudels, ihr Junges ist vier oder fünf Monate alt. "Es ist schwer, das so genau zu sagen", erklärt Kalio, "in den ersten Wochen bekommen wir die Jungen nicht zu Gesicht." Der Jeep biegt um einen kleinen Hügel und hält abrupt an. Neben Queen und ihrem Jungen liegen ihre älteste Tochter Machine und deren zwei achtmonatige Jungen im Gras. Die Löwin nagt an einer gerade erlegten Puku-Antilope, ein Schwarm von Aasgeiern schaut interessiert zu. Die Szene sieht beinahe friedlich aus. Doch dann taucht Beast am Horizont auf. Die Insassen im Jeep halten den Atem an. "Auf dieses Aufeinandertreffen haben wir lange gewartet", sagt Kalio.

So plötzlich Beast aufgetaucht ist, so schnell verschwindet er aber wieder. Der Kampf ums Revier hat erst begonnen. (Stephan Hilpold, RONDO, 6.12.2017)