Handbuch zur Entschleunigung
Zusammenhänge verstehen und sich daran anpassen: Thomas L. Friedman erklärt unsere komplexe Welt
Müsste man einem langjährigen Koma-Patienten unsere moderne Welt erklären, würde sich ohne Zweifel "Thank You for Being Late" als Lehrbuch dafür eignen. Der New York Times-Journalist Thomas L. Friedman erklärt darin, wie unsere beschleunigte Welt funktioniert. Doch nicht nur, wer die letzten Jahre versäumt hat, auch wer ganz aufmerksam Medien konsumiert, so schreibt Friedman, fühle sich oft überfordert.
Das liegt an der Menge an komplexen Informationen, die auf uns einwirkt. Und an ihrer Geschwindigkeit, denn Veränderung funktioniert heute wesentlich schneller als in vergangenen Zeiten. Vor tausend Jahren mussten Jahrhunderte vergehen, ehe die Welt sich spürbar veränderte. So wurde etwa der Langbogen im 12. Jahrhundert erfunden, zum militärischen Einsatz kam er erst Mitte des 13. Jahrhunderts, schreibt Friedman.
Heute geht alles Schlag auf Schlag. Nicht in Angst verfallen, sondern Innehalten, sei nun das Mittel der Wahl, empfiehlt der Autor. "Thank you for being late" heißt deshalb so, weil Friedman sich freut, wenn Gesprächspartner zu Terminen zu spät kommen, weil das die Zeit ist, in der er die Pause-Taste drücken kann.
Verstehen und reagieren
Sein Rezept: Ehrliche, ruhige Erklärungen. Denn nur wer versteht, wie unsere komplexe Welt funktioniert, der kann auch über sie nachdenken und darauf reagieren. Und so erklärt Friedman in seinem Buch technische Innovationen, wirtschaftliche Vorgänge, klimatische und politische Entwicklungen – langsam, anschaulich, persönlich und verständlich.
Nach der Erklärung folgt die "Erneuerung" – so heißt auch Friedmans längstes Kapitel. Darin schlägt er vor, sich an die Schnelligkeit anzupassen, mit ihr leben zu lernen. Friedman zeigt auf, dass es in sämtlichen Bereichen ein Umdenken brauchen wird, die Gesellschaft sich ganz neu erfinden muss. Konkrete Beispiele: Herausfinden, was Menschen besser können als Maschinen, die künstliche Intelligenz zu unserem Verbündeten machen, Bildung und Ausbildung dahingehend verbessern, hin und wieder vom Digitalen zum Analogen zurückkehren, in Entwicklungsländer investieren, von der Natur lernen und Vielfalt akzeptieren.
Ein gutes Leben führen
Spätestens in Friedmans letztem Kapitel bekommt der Leser das Gefühl: Alles wird gut. Denn der Autor ist überzeugt, mit all den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen – intelligente Maschinen inklusive – wird es der Menschheit gemeinsam möglich sein, in Zukunft Probleme besser zu lösen, produktiver, widerstandsfähiger und wohlhabender zu werden.
Am Ende ist Friedmans Buch ein Plädoyer gegen Panikmache und will vor allem Mut machen, positiv in die Zukunft zu schauen. Der Autor ist überzeugt: Auch das zweite Viertel des 21. Jahrhunderts wird ein erstaunliches Zeitalter werden, in dem mehr Menschen als je zuvor ein gutes Leben führen können. (Bernadette Redl, 22.12.2017)
Thomas L. Friedman: "Thank You for Being Late. Ein optimistisches Handbuch für das Zeitalter der Beschleunigung". € 24,70 / 480 Seiten. Lübbe, Köln, 2016
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