Um einen Flügel oder ein Piano gut einzustimmen, ist ein gutes Gehör eine Grundvoraussetzung. Viel Geschicklichkeit ist obendrein gefragt.

Foto: Steinway & Sons

A, H, C, D, E ... Und wieder runter. Und wieder rauf. "Das C klingt noch ein bisschen kalt und metallisch. Hören Sie's?" Nein, ein normalsterbliches Ohr hört das nie und nimmer heraus. Doch Wiebke Wunstorf, Chefintoneurin und somit die Allerletzte, die den Flügel einstimmt, bevor er an den Endkunden ausgeliefert wird, hat die Gabe, die allerfeinsten Nuancen herauszufiltern.

"Jetzt mache ich ein paar Nadelstiche in den Hammerkopf, damit der Schafsfilz etwas lockerer und die Klangfarbe wärmer wird", sagt die 55-Jährige, die schon seit 1979 in der Qualitätskontrolle, Endabnahme drei, im letzten Stock der Fabrik über die Töne wacht, "und zwar hier, an der mittleren Saite". Nach einer Stunde ist der Hokuspokus an den 88 Tasten beendet.

Seit 1927 ist Steinway & Sons, 1880 von Heinrich Engelhard Steinweg gegründet, am Betriebsstandort in Hamburg-Bahrenfeld tätig. Die Sheddach-Hallen sind groß und lichtdurchflutet, überall Backstein und gusseiserne Konstruktionen. Es riecht nach frisch geschnittenem Holz und Polyesterlack, nach Leim und kaltem Metall. Mit jeder Tür tritt man ein in einen neuen olfaktorischen Kosmos. Und mit den Düften ändern sich auch die Stimmungsbilder und Arbeitskleidungsvorschriften in den Hallen.

Abenteuerspielplatz der Gewerke

Es ist das Nebeneinander der Arbeitsgänge, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die dieses Werk zu einem Abenteuerspielplatz der Gewerke machen. Während diesseits der Tür archaische Muskelkraft und tonnenschwere, ölgeschmierte Maschinen die Naturfasern des Holzes zu bändigen und in Form zu bringen bemüht sind, werden wenige Meter weiter mit Nadeln, Hämmerchen und piekfeinen Pinzetten die insgesamt 7000 Einzelteile der Klaviatur bearbeitet und in Millimeterarbeit einjustiert. Hier knallen Welten aufeinander.

Die Geburtsstunde des Flügels ist – und das ist eine Besonderheit von Steinway – die Fertigung des sogenannten Rims. Denn im Gegensatz zu anderen Klavierproduzenten, die zunächst das mechanische Innenleben bauen und es anschließend ins Holzgehäuse heben, werden im Hause Steinway Gussplatte, Saitenwerk und Klaviatur direkt in den fertigen Holzkorpus eingearbeitet. "Das ist zwar zeitaufwendiger", sagt Klavierbauer Detlef Reiszig, während er sich eine weiße Plastikschürze umbindet, "dafür aber bleibt der schwingende Schallkörper von der ersten Minute an unter Dauerspannung und verfügt somit über eine höhere Schallleitfähigkeit".

Rein in die Leimmaschine

"Rimbiegerei" steht an der Brandschutztüre. Und man lernt: Alles, was hinter diesen Türen passiert, beruht im Wesentlichen auf dem Patent Nr. 204106 vom 21. Mai 1978. Erst werden, je nach Flügeltyp und Größe, bis zu 20 Hartholzlagen aus Ahorn und Mahagoni, sogenannte Dickten, durch die Leimmaschine und über den Leimtisch gejagt und übereinandergeschichtet, anschließend tragen vier Mann das klebrig-feuchte Holzpaket zum Biegebock, wo es mit gigantischen Burzenschrauben und Stempelklammern unter Hochdruck eingespannt wird. Nach drei bis sechs Stunden bei 65 Grad Celsius und tonnenschwerem Druck ist der Rim ausgehärtet.

"Wir machen pro Tag fünf von diesen Riesen", sagt der 65-jährige Rimbieger, der schon seit 38 Jahren für Steinway Hamburg arbeitet und in wenigen Monaten in Pension geht. "Wir sind, wenn Sie so wollen, diejenigen, die dem Klavier seine Form geben." Neun bis zwölf Monate dauert es, bis ein Flügel fertig ist und auf den Lkw verladen werden kann. Pro Jahr werden in Hamburg rund 1500 Klaviere gebaut. Noch einmal so viele verlassen die Fertigungshallen in New York. Der Flügelanteil beträgt 80 Prozent, sieben Größen zwischen 155 und 274 Zentimeter Länge stehen zur Auswahl, der Rest entfällt auf Pianos.

Hochglanzpolitur

"Der Großteil der Klaviere ist schwarz hochglanzpoliert", erzählt Christoph Daignière-Koller, Geschäftsführer der Österreich-Niederlassung am Wiener Opernring, die heute, Freitagabend, ihr 20-jähriges Jubiläum feiert. "Europa liebt es klassisch. Nach China, Osteuropa und in den arabischen Raum liefern wir auch Sonderwünsche und vor allem Edelfurniervarianten in Ebenholz, Amberbaum und Ostindischem Palisander aus." Crown Jewels nennt sich diese Edition, die den Preis für einen B-Konzertflügel von 100.830 auf gut und gerne 150.000 Euro hochklettern lässt.

Mit Umsatzzahlen hält man sich zurück. "Kein Kommentar", sagt Pressesprecherin Sabine Höpermann, während sich eine CNC-Fräse über den ausgehärteten Rim hermacht. Aktuell arbeitet man an der Seriennummer 606.000. 94 Prozent aller Konzertsolisten weltweit spielen nach eigenen Angaben auf einem Steinway-Flügel. (Wojciech Czaja aus Hamburg, 1.12.2017)