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"Nehmen Sie dieses Foto": Als Bedingung für das Gespräch verlangte der Zins von uns, dieses unvorteilhafte Bild von Mario Draghi zu zeigen.

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STANDARD: Sie haben unsere Redaktion kontaktiert und um dieses Gespräch gebeten. Weshalb?

Zins: Weil es mir reicht. Ich bemühe mich seit Jahren um ein Comeback, habe die besten Marketingstrategien entwickelt. Trotzdem wird mir die Rückkehr verwehrt. Sehen Sie sich um: Nirgends gibt es mich. Keine Zinsen am Sparbuch, keine Zinsen bei Staatsanleihen.

STANDARD: Okay, jetzt haben wir eine Menge Fragen. Zunächst: Sie betreiben Marketing?

Zins: Kennen Sie den Spruch: "Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken ist eine Enteignung der Sparer?" Sicher. Jede zweite deutsche Zeitung bringt ihn mindestens sieben Mal die Woche. Manche Banker summen das sogar im Schlaf! Der Slogan stammt von mir, mein größter PR-Erfolg. Das müssen Sie sich vorstellen: Der Durchschnittsarbeitnehmer in Österreich oder Deutschland hat gerade ein paar Euro am Konto, weil Miete, Auto, Kinderturnen und Hundebeauty-Salon ohnehin alles verschlingen. Zinsen können dem egal sein. Trotzdem sind alle empört: "Wir werden enteignet, Frechheit." Genial, nicht?

STANDARD: Es geht so. Wobei man sagen muss: Sie sind ja nicht komplett verschwunden. Als Strafzinsen für überzogene Konten gibt es Sie ja noch.

Zins: Glauben Sie, mich interessiert es, wenn so ein Notstandshilfe-Empfänger ein paar Euro draufzahlen muss, weil ihm am Monatsende das Geld für die Zigaretten ausgeht? Peanuts. Einst beherrschte ich die Welt! Königreiche zerbrachen, weil sie bei ihren Heirats- und Kriegsspielen auf mich vergaßen. Revolutionen scheiterten, weil ich bei dem ganzen ideologischen Eifer nicht einkalkuliert wurde. Bei der Erwähnung meines Namens erzitterten Weltreiche. Bis vor kurzem war ich überall: auf dem Sparbuch, im Interbankengeschäft, auf den Anleihenmärkten. Dann kamen diese Notenbanker, zum Beispiel dieser Italiener ... (Der Zins murmelt mit rotem Gesicht unverständliches Zeug vor sich hin, Anm.)

STANDARD: Geht's wieder? Mit Italiener meinen Sie Mario Draghi, den Chef der Europäischen Notenbank (EZB). Aber die Zinssätze sinken doch seit Jahrzehnten, es wird global mehr gespart, als ausgegeben werden kann. Die gute alte Zeit, von der Sie sprechen, kommt nicht wieder.

Zins: Abwarten. Ein paar interessante politische Strömungen gibt es da neuerdings. Ich gebe es zu: Ich habe kurz sogar mit der AfD in Deutschland sympathisiert.

STANDARD: Mit der AfD, ernsthaft? Aber gewählt haben Sie die Partei nicht.

Zins: Natürlich nicht. Ich habe nichts übrig für dieses völkische Getue von denen. Sehen Sie, ob Herr Abdul in Islamabad, Frau Müller in Wien oder die Familie Suzuki in Tokio: Wer einen Kredit bei einer klassischen Geschäftsbank will, muss mit mir rechnen. Mir sind daher alle Menschen gleich recht. Aber die AfD wollte die Rückkehr zur Mark. Können Sie sich vorstellen, was da alles losgewesen wäre? Der Euro wäre zerbrochen, halb Europa zu den Weichwährungen zurückgekehrt. Die Zinssätze wären hochgeschossen, Staatspleiten, wohin das Auge blickt, noch mehr Zinsen – ein Paradies.

STANDARD: Sie klingen wütend und größenwahnsinnig zugleich. Oft verbirgt sich dahinter Angst.

Zins: Mag sein. Wissen Sie, was mir schlaflose Nächte bereitet: Werbesprüche à la "Kredite fast zum Nullzinssatz". Was für ein schlimmes Wort das überhaupt ist: "Nullzinsen". Das klingt, als würde mich das große Nichts verschlingen.

STANDARD: Kopf hoch, es geht doch schon aufwärts. In ein paar Ländern geben Sie bereits ein Comeback. Reden wir zum Schluss daher über etwas Schönes. Hören Sie Musik, Lieblingsfilm, Hobbys?

Zins: Ich würde gern bergsteigen, aber mir fehlt die Kraft. Also gehe ich oft tauchen. Ich liebe Johnny Cash, den Song "Sixteen Tons". Film: "Wolf of Wall Street". Wahnsinnig lustig, können Sie sich an die Szene mit dem Zwergenwerfen erinnern? (Andras Szigètvari, Portfolio, 2017)