Beliebter Redner zu Facebook, Apple und Co: Scott Galloway.

Seit Scott Galloways Buch* über Amazon, Apple, Facebook und Google erschienen war, avancierte er zum Medienstar. Galloway, Professor für Marketing in New York und selbst Gründer mehrerer Unternehmen, argumentiert, dass die vier dominanten US-Technologiekonzerne zu viel politische und wirtschaftliche Macht besitzen. Durch die Ermittlungen in den USA wegen russischer Manipulationen im Präsidentschaftswahlkampf via Facebook, Twitter und Google ist das öffentliche Interesse für das Thema in Übersee immens gestiegen.

STANDARD: Herr Galloway, was bereitet Ihnen an Amazon, Facebook, Apple und Google Unbehagen?

Galloway: Es ist schwer zu argumentieren, dass die vier nicht tolle Dinge leisten: Wir alle lieben es, per Mausklick auf Amazon einzukaufen und jederzeit mit unseren Freunden über Facebook plaudern zu können. Aber zugleich haben diese Unternehmen eine Reihe von Eigenschaften, die uns allen Sorgen bereiten sollten. Zunächst einmal vermeiden sie es sehr effektiv, Steuern zu zahlen. Sie brauchen auch deutlich weniger Arbeitnehmer als ihre Mitbewerber. Das ist an sich nichts Neues. Es gab in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder Konzerne, die durch den Einsatz neuer Technologien Arbeitsplätze vernichtet haben. Dabei war aber noch nie jemand so effizient wie Amazon, Google, Facebook und Apple. Regierungen haben nun zudem die Möglichkeit, diese Plattformen zu Waffen zu machen. Es steht fest, dass der russische Geheimdienst Facebook und Google benutzt hat, um die US-Demokratie während der Präsidentschaftswahlen zu unterwandern.

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Apple-Fans bestaunen die "augmented reality" des jüngsten iPads in Apples Besucherzentrum in Cupertino.
Foto: REUTERS / ELIJAH NOUVELAGE

STANDARD: Am intensivsten beschäftigt Sie allerdings die Marktmacht von Amazon. Aber ist der Alarmismus hier nicht übertrieben? Amazon ist nur ein Player von vielen im Handel, wenn auch ein großer.

Galloway: Marktkonzentration ist bei allen ein Thema. Seit 2008 haben die vier Unternehmen ihre Marktkapitalisierung im Ausmaß der jährlichen Wirtschaftsleistung von Indien erhöht. In einer so kurzen Zeit gab es noch nie eine solche Wertsteigerung bei so wenigen Konzernen. Amazon kann in nahezu jedes Marktsegment einsteigen und dieses dominieren und Mitbewerber in Schwierigkeiten bringen. Das Unternehmen hat vor einigen Monaten Whole Foods, den Marktführer für Biolebensmittel in den USA mit 90.000 Mitarbeitern, erworben. Der stärkste Mitbewerber, Krueger, selbst ein Supermarkt mit Bioschwerpunkt, hat allein nach der Ankündigung ein Drittel seines Aktienwertes verloren. Es gibt nun also ein Unternehmen, das seinen Mitbewerbern wehtun kann, bevor es überhaupt in den Wettbewerb einsteigt. Amazon ist Marktführer im Cloud-Business, gibt mehr für TV-Produktionen aus als Fernsehsender wie HBO, NBC oder ABC. Amazon hat mit Alexa 70 Prozent Marktanteil bei Audiogeräten zur digitalen Steuerung. Es gab noch nie ein Unternehmen wie Amazon, das in so vielen Kategorien so dominant war.

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Gilt als einer der kreativsten CEOs der Weltgeschichte: Amazon-Chef Jeff Bezos.

STANDARD: Warum differenzieren Sie zwischen den US-Technologiekonzernen nicht stärker? Zwischen Apple und Facebook, ihren Produkten und ihrer Stellung, gibt es ja gewaltige Unterschiede. Was verbindet alle überhaupt?

Galloway: Es sind die vier mächtigsten Konsumentenunternehmen der Welt. Sie haben Angebote an Unternehmenskunden, aber im Wesentlichen produzieren sie für Konsumenten. Sie wecken zudem in einem beispiellosen Ausmaß fundamentale Instinkte in uns. Google befriedigt auf gewisse Weise unseren Drang nach einem Superwesen, nach einer göttlichen Autorität. Wohlhabende Industriestaaten haben alle die gleiche Entwicklung durchgemacht. Der Glaube geht zurück, Menschen gehen seltener in die Kirche. Die tiefsitzenden Ängste sind aber gleich geblieben. Es gibt eine Lücke, die Google füllt. So sind viele der Anfragen bei Google noch nie gestellt worden. Facebook erfüllt unser Bedürfnis nach Liebe und unser Bedürfnis, andere zu lieben.

STANDARD: Wo setzen Amazon und Apple an?

Galloway: Die größte Vernichtungsmaschine in der Menschheitsgeschichte war Hunger. Es ist daher unser Urtrieb, dass wir ständig mehr wollen. Nach Schätzungen verfügen Menschen über zehn bis 100-mal mehr Dinge, als sie brauchen. Genau das macht doch Amazon aus: Das Unternehmen kann sicherstellen, dass wir ständig mehr haben können, als wir brauchen. Apple schließlich ist in vielerlei Hinsicht ein Symbol der Sexualität. Die Apple-Produkte signalisieren Stil, Wohlstand, in gewisser Weise zeigt Apple, dass wir gute Gene haben. Gott, Liebe, Konsum, Sex: All das sind Funktionen von uns als Menschen. Die Unternehmen haben diese Instinkte genommen und neu zusammengebaut.

STANDARD: Was folgt aus all Ihren Thesen?

Galloway: Das kommt darauf an, über wen wir reden. Sprechen wir über Konsumenten, dann würde ich sagen: Genießen Sie weiter die Vorzüge der Angebote der Technologieunternehmen. Sprechen wir über Studenten, würde ich ihnen empfehlen, Amazon, Apple und Co genau zu studieren – um herauszufinden, warum gerade sie diese Machtfülle und Marktdominanz erringen konnten. Sprechen wir über Staatsbürger, würde ich diesen empfehlen, dass sie für Politiker stimmen, die diese Unternehmen zur Verantwortung ziehen, etwa wenn es darum geht, Steuern zu bezahlen. Es sollte den Unternehmen auch nicht erlaubt sein, die Behörden anzulügen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Galloway: Als Facebook den Messengerdienst Whatsapp im Jahr 2014 um 19 Milliarden US-Dollar erworben hat, war die EU-Kommission sehr besorgt darüber, dass Facebook die Daten von Usern auf beiden Plattformen verknüpfen würde. Facebook versicherte den EU-Behörden, dass dies technisch nicht möglich sei. Die Regulatoren gaben also grünes Licht. Nachdem der Deal abgeschlossen war, fand Facebook doch einen Weg, um die Daten zu teilen – und tat das auch. Die EU-Kommission verhängte daraufhin im Mai 2017 eine Strafe in Höhe von 110 Millionen Euro gegen das Unternehmen. Das entspricht in den Dimensionen von Facebook nicht einmal einer Strafe für Falschparken. Dabei hätte die Kommission die Übernahme nie genehmigt, wenn sie gewusst hätte, was da geschieht.

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Anhörung im US-Kongress zu den Manipulationen des russischen Geheimdienstes im Wahlkampf.

STANDARD: In den USA wird nun darüber geredet, strengere Regeln für die Technologiebranche auszuarbeiten. Insbesondere geht es darum, besser zu kontrollieren, damit nicht ausländische Geheimdienste aktiv werden können.

Galloway: Ja, die Kritik in der Öffentlichkeit ist lauter geworden. Ich glaube auch, dass auf die Branche mehr Regulierung und höhere Strafen zukommen. Aber es wird nicht aus jener Richtung kommen, an die die meisten derzeit denken. In Washington wird nichts Wesentliches unternommen werden. Wo der Krieg gegen die großen Technologieunternehmen ausbrechen wird? In Europa.

STANDARD: Ein Krieg?

Galloway: Die Technologieunternehmen bringen viele der erwähnten Nachteile mit sich. Aber in den USA haben wir auch immense Vorteile. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kein Unternehmen heuert derzeit so viele Studenten von meiner Universität an wie Amazon. In den USA gibt es eine Reihe von Spitalsambulanzen und Universitätsgebäuden, die nach den Google- und Facebook-Gründern benannt wurden, weil Mark Zuckerberg und die anderen Firmengründer viel Geld gespendet haben. Die Vorteile habt ihr in Europa nicht, nur die Nachteile. In den USA fehlt aber nicht nur der politische Wille, sondern inzwischen auch die technologische Expertise dafür. In den 1980er-Jahren gab es im Schnitt 20 kartellrechtliche Verfahren im Jahr. Derzeit sind es vielleicht noch drei.

STANDARD: Und deshalb wird es der Kongress in den USA nicht wagen, selbst aktiv zu werden?

Galloway: Es kommen eine Reihe tiefer liegender Gründe hinzu. Wir lieben diese Unternehmen, ja verehren sie beinahe in einem religiösen Ausmaß. Für die Gesellschaft ist Innovation heute ein wichtigerer Wert als Güte. Amazon und die anderen sind die Superstars unserer Wirtschaft. Als Microsoft Ende der 1990er-Jahre ins Visier der Kartellwächter geriet, wurde das Unternehmen in der breiten Öffentlichkeit als böse empfunden, die Aufseher hatten also Rückenwind. Das ist heute völlig anders. Facebook, Amazon, Apple und Google gelten als progressiv, sie haben sich erfolgreich in einen Mantel gewickelt, der sie fortschrittlich und glänzend erscheinen lässt. Das hat viel damit zu tun, wie sich die CEOs und Gründer dieser Unternehmen öffentlich vermarkten und präsentieren. Amazon hat den innovativsten Geschäftsführer der Unternehmensgeschichte. Wollen Sie wirklich der Beamte oder Politiker sein, der sich solchen Leuten in den Weg stellt? (András Szigetvari, 25.11.2017)