Mitunter etwas gar viel Pathos im Dschungel Wien: Aber die Mitwirkenden von theaternyx* und Theater foXXfire! gaben sich bei ihrem Jahresrückblick so engagiert wie hochprofessionell.

Foto: Reinhard Winkler

Wien – Jugend ist Trunkenheit ohne Wein, meinte Goethe: Ein Wein- und Menschenkenner wie er muss es wissen. Jugend ist aber oft auch Trunkenheit durch Wein. Jugend ist auch Ohnmacht gegenüber den dunklen Großmächten Eltern und Schule. Jugend ist Lethargie und Lebensfreude, beides total. Wie hat sie 2016 wahrgenommen, privat und politisch? Was hat sie bewegt? Das wollte man im Dschungel Wien erfahren.

Zwölf junge Menschen aus Graz, Linz und Wien haben deshalb im vergangenen Jahr ihre Gedanken, Erlebnisse und Tagesabläufe notiert. Die Regisseurin Claudia Seigmann und die Dramatikerin Claudia Tondl haben daraus ein Stück gemacht: Dreihundertfünfundsechzig+. Darin wird von Maturastress und Frühlingsgefühlen berichtet. In die Schule gehen manche eh gern, einem Kater samt Schädelweh begegnet man heutzutage produktiv und räumt das Zimmer auf. Laufen ist beliebt, und Stefan Zweig wird auch von den Jungen noch gern gelesen. Van der Bellen ist super und Norbert Hofer bäh, Donald Trump detto. Und warum werden nur so wenige Flüchtlinge ins Land gelassen?

In eigener Welt geblieben

Und wieso, fragt man sich als Zuhörer nach einiger Zeit, wurden hier anscheinend nur "Bestmenschen" unter 20 befragt? Wieso hauptsächlich Gymnasiasten und keine Lehrlinge, warum kein Arbeitsloser, niemand von einem Bauernhof? Ist wirklich keiner der Jugendlichen, wie im Stück erzählt wird, pro Norbert Hofer, oder haben sich die Initiatoren des Projekts einfach zu wenig Mühe gemacht, ihren wohligen Milieukokon zu verlassen? Die Regie von Claudia Seigmann trägt ihr Weiteres zur Skepsis gegenüber der hier präsentieren Jugend bei. Die vier "PerformerInnen" und der sechsköpfige Chor sprechen ein aseptisches Bühnendeutsch und tragen öde Kleidung: So stellen sich Erwachsene den Style der Teenager vor (Kostüme: Antje Eisterhuber); Bernhard Fleischmann (Musik) beträufelt die szenischen Vorgänge mit sphärischem Gebimmel und elektronischem Gewummer.

Ja: Die jungen Mitwirkenden von theaternyx* und Theater foXXfire! machen das alle hochprofessionell. Aber dieses ständige Glühen in den Augen der vier Sprecher, dieses softe Pathos in der Stimme – das sollen Jugendliche von heute sein? Alles an dieser Produktion ist keimfrei, im Vergleich mit diesem apart arrangierten Stimmenchor der Jugend sind die Protagonisten der Serie Dawson's Creek gefühlskalte Radikalanarchisten.

Da hilft es auch nichts, dass man vor Beginn des Stücks ein bisschen kollektive Erinnerungsarbeit zu 2016 betreibt und sich PerformerInnen und das auf Würfeln sitzende Publikum räumlich ganz nahe kommen. Fazit: ein großer Irrtum. Prädikat: jugendfrei. (Stefan Ender, 23.11.2017)