Foto: Lukas Friesenbichler

Es ist so ziemlich die härteste Belastungsprobe, auf die eine Familie gestellt werden kann. Wenn ein Kind schwer erkrankt, sind Eltern wie auch Geschwister im Ausnahmezustand. Das kranke Kind muss im Spital betreut werden, berufstätige Eltern müssen diese Fehlzeiten mit ihren Arbeitgebern regeln. Schichtwechsel am Krankenbett. Sehr oft sind Situationen lebensbedrohend: Es wechseln sich Sorge und Tränen mit Hoffnung und Zuversicht ab. Nicht selten werden auch die Geschwisterkinder durch die angespannte Situation in Mitleidenschaft gezogen. Nur das kranke Kind steht im Mittelpunkt.

"Erwachsene haben nach einer schweren Krankheit das Recht auf Rehabilitation, Kinder nicht, das empfand ich damals als eine unglaubliche Ungerechtigkeit", sagt Markus Wieser, dessen Tochter 2008 an Akuter Myeloischer Leukämie erkrankte und acht Monate lang im St. Anna Kinderspital behandelt wurde. Rehabilitation für Kinder gäbe es in Österreich nicht, erfuhr Wieser nach Abschluss der Chemotherapie, dafür müsse er auf die Katharinenhöhe nach Deutschland.

Wer fahren soll

Für Wieser damals keine Option, die Familie wäre dann noch einmal auseinandergerissen worden. Aus diesem Frust heraus gründete Wieser den Förderverein "Kinder und Jugendlichenrehabilitation in Österreich" und wurde zu einer Art Robin Hood. Dass es insgesamt fast zehn Jahre dauern würde, hätte Wieser damals nicht gedacht. Wer könnte gegen die Kinder- und Jugendrehabilitation sein? Schließlich sind es Kinder nach schwerer Krankheit und ihre Familien, die sorgenvolle Zeiten hinter sich haben. Wieser tingelte durch die Ministerien, Pensionsversicherungsanstalten, Krankenkassen, suchte Verbündete.

Die Kinderärzte hatte er sofort hinter sich. "Wir haben mit diesem Projekt auch rein organisatorisch Neuland betreten", erinnert sich Reinhold Kerbl, Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche am LKH Hochsteiermark. "Unser Problem war immer, dass wir Eltern einfach nichts anbieten konnten, um zurück in den Alltag zu finden", erinnert er sich. Kinderärzte hatten bereits 1999 und 2004 Pläne für eine Kinderreha ausgearbeitet, die allerdings allesamt in den Schubladen der Behörden verschwanden.

Nach vielen Jahren bekam man vom Gesundheitsministerium Signale, dass es nun Möglichkeiten gäbe. Bedarfszahlen wurden ermittelt, von der bundeseigenen Behörde "Gesundheit Österreich" bestätigt. Es zogen die Jahre ins Land, Wieser machte im Hintergrund die Lobbyarbeit. "Das Projekt bekam Schwung, als das Ministerium und der Hauptverband einstiegen", erinnert sich Wieser, "und der Durchbruch war, als sich Länder und Hauptverband 2015 auf eine geteilte Finanzierung einigen konnten." Da sah Wieser Licht am Ende des Tunnels und wusste, "dass es jetzt tatsächlich etwas werden wird".

Kindgerechtes Umfeld

Es gibt eine ganze Reihe schwerer Erkrankungen, die nicht gleich nach einem Spitalaufenthalt vorbei sind. Zum Beispiel bei Kindern, die schwere Unfälle überlebt haben. "Für diese sogenannte mobilisierende Reha gab es ein paar wenige Plätze, meist wurden die Kinder zusammen mit den Erwachsenen behandelt", erinnert sich Kerbl, "kein kindgerechtes Umfeld", fand er.

"Es war klar, dass Kinderrehabilitation andere Anforderungen stellt", sagt Josef Souhrada, Leiter der Rechtsabteilung im Hauptverband. Allein juristisch. Rehabilitation hat das Ziel, die Menschen wieder zurück ins Arbeitsleben zu bringen. "Unmöglich für Kinder, weil es Kinderarbeit nicht gibt. Gemeinsam mit den Experten entwickelte man das Ziel, dass Kinder und Jugendliche nach der Reha wieder die "Anteilnahme an einem altersgerechten Leben" erlangen sollten.

Zudem brauchen Kinder bei langen Rehaaufenthalten ihre Eltern, "wir mussten die rechtlichen Grundlagen für die sogenannte familiengerechte Therapie schaffen", so Souhrada, die etwa auch Begleitpersonen oder sogar Geschwisterkinder miteinbezieht. Und schließlich ging es auch um die wichtige Frage, bei welchen schweren Erkrankungen eine Reha überhaupt zu einer substanziellen Verbesserung des Gesundheitszustandes beiträgt. Die Voraussetzung ist, dass Kinder Reha-fähig sind", so Kerbl und freut sich auf nächstes Jahr, wenn die ersten Zentren ihre Pforten öffnen werden.

Wohnortnahe Versorgung ist das Ziel des Reha-Plans. Österreich wurde in vier Zonen geteilt.
Grafik: DerStandard

Erstmals werden Kinderärzte in Österreich die Möglichkeit haben, Kinder und Jugendliche mit schweren Stoffwechselerkrankungen, nach Herzoperationen oder Erkrankungen der Atemwege sowie psychosozialen Problemen zu Spezialisten zu schicken, um dort geballt und mit einem Maximum an Expertise, jene Kräfte zu mobilisieren, die durch die Erkrankung verloren gegangen sind.

Was Kinderlobbyist Markus Wieser besonders freut, ist, dass die Antragstellung österreichweit einheitlich und vollkommen unbürokratisch ist. Familien reichen ein einziges Formular bei ihrer jeweiligen Krankenkasse ein, der Hauptverband übernimmt die Koordination der Zuteilung. "Das ist in Österreich keine Selbstverständlichkeit", betont Wieser.

Krebs überlebt haben

Und was wird Kinder in den altersgerecht eingerichteten sechs Rehazentren in Österreich erwarten? "Ein Umfeld, das auf Kinder- und Jugendliche und ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist", sagt Christina Möller, die beim Spitalerrichter und -betreiber Vamed für diesen Spezialbereich in St. Veit im Pongau zuständig ist, dem Zentrum, in dem Kinder nach Krebserkrankungen wieder fit fürs Leben gemacht werden. Im Rehazentrum gibt es keine Zimmer, sondern kleine Appartements, die Platz für die Familie bieten, es gibt eine Reihe medizinisch-therapeutischer Leistungen, aber auch schulische Betreuung. "Wir haben, was unsere Leistungskataloge betrifft, eng mit den Experten der Kinderkrebshilfe zusammengearbeitet und uns dort Expertise geholt", so Möller.

Was Rehabilitation für Kinder nach onkologischen Erkrankungen bringt, kann Anita Kinesberger, Geschäftsführerin der Österreichischen Kinder-Krebs-Hilfe, sehr gut erklären. "Es geht nicht um starre Leistungen nach Stundenplan, sondern um ein sehr flexibles System", sagt sie und erzählt, wie oft sie erlebt hat, dass Eltern nach Abschluss der Spitalbehandlung zusammenbrechen. "Die haben sich zusammengerissen, haben durchgehalten, und plötzlich lassen sie los." Eine Reha müsse in diesem Fall die Eltern auffangen.

Eine andere Spielart: Eltern, die nach sechs Monaten am Krankenbett wieder lernen müssen, ihre Kinder loszulassen – und Kinder, die ihre Kräfte und Eigenständigkeit zurückerobern müssen. Im Rehazentrum in St. Veith wird deshalb auch Alltag simuliert: "Kinder gehen morgens sozusagen in die Schule", erklärt Kinesberger. Geschulte Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen gewährleisten eine Palette unterschiedlicher Leistungen, die es in der Form in keiner Rehaeinrichtung für Erwachsene jemals gegeben hat. Statt starren Leistungskatalogen zählt Flexibilität. "Das war in der Phase der Ausschreibung eine Herausforderung für alle Anbieter, die am Vergabeverfahren teilgenommen haben", berichtet Möller.

Rechtlicher Status für Eltern

Denn, und auch das ist in der Geschichte der Kinder- und Jugendrehabilitation ein sehr zeitintensives Kapitel gewesen, auch das Vergabeverfahren gemäß den EU-Richtlinien war ein Riesenprojekt, "das der Hauptverband in der Form niemals zuvor durchgeführt hatte, das aber wegen der Zahl der Bewerbungen und den EU-Regeln notwendig war", sagt Hauptverbandsjurist Souhrada.

Eine letzte große Hürde gibt es aber noch für die familiengerechte Rehabilitation: der rechtliche Status, der es den Eltern erlaubt, ihre Kinder in die Reha zu begleiten. Nach österreichischem Recht ist eine Diagnose die Voraussetzung für den Rehaanspruch. "Wir waren dagegen, dass man Eltern eine psychische Diagnose geben muss, um die Kinder zu begleiten", betont Wieser, der an diesem Sonderstatus für die Begleitpersonen arbeitet.

Wenn im Laufe des nächsten Jahres die neuen Kinder- und Jugendrehazentren in Betrieb gehen, sollte auch diese Hürde aus dem Weg geräumt sein. Markus Wiesers Tochter Raffaela hat ihre Leukämie übrigens gut überstanden. Der Vater scheint ihr ein Vorbild zu sein. Sie studiert an einer Fachhochschule Gesundheitsförderung und -management. (Karin Pollack, 21.11.2017)