Bei den Wählern kommt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron landauf, landab nach wie vor sehr gut an, wie etwa hier bei einem Besuch in Tourcoing im Norden. Doch in der Partei beginnt es zu gären.

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In Paris folgten am Donnerstag nach Polizeiangaben rund 8000 Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften, Studentenverbänden und Linkspartei.

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Wie schön war es doch damals, am Anfang! Die ersten Parteigenossen erinnern sich bereits nostalgisch an das kreative Chaos, als ein junger Idealist namens Emmanuel Macron die französische Politik mit seiner noch jüngeren Bewegung "En Marche" (Unterwegs) aufzumischen versprach. Im ganzen Land schossen Lokalkomitees aus dem Boden, überall herrschten Optimismus und Tatendrang, verbreitet von Jungen und Älteren, die sich oft erstmals politisch betätigten.

Notdürftig koordiniert wurden sie von einem Pariser Hauptquartier, das eher einem fröhlichen Ameisenhaufen als einer strukturierten Parteizentrale glich.

"Personenkult"

Am Samstag soll die Spontibewegung von einst in einer richtigen Partei mit dem Namen La République en Marche (LRM) aufgehen. Für Schlagzeilen sorgen jedoch rund 100 zum Teil ranghohe Mitglieder, die mit Getöse ihren Austritt verkünden – in einem offenen Brief mit dem Titel "Die Demokratie ist nicht unterwegs".

Laut der bretonischen Initiantin Tiphaine Beaulieu müssen sie anonym bleiben, da sie von En-Marche-Spitzen eingeschüchtert und bedroht worden seien. Dabei haben sie gewichtige Vorwürfe anzubringen: En Marche sei das Gegenteil von Basisdemokratie und leide unter der "Herrschaft der Eliten", ihrer "Arroganz" und dem "Personenkult" um Präsident Macron.

Sichtbarstes Zeichen sei der Parteikongress, klagt Beaulieu: Die 750 Delegierten würden nicht von lokalen Sektionen gewählt, sondern mehrheitlich von "oben" bestimmt und zu einem Viertel ausgelost. Den einzigen Kandidaten für das Amt des Parteichefs – den engen Macron-Vertrauten Christophe Castaner – könnten sie bloß absegnen. Und der habe auch das Parteibüro bereits zusammengestellt.

Guy Constrastin, einer der hundert Dissidenten, hauptberuflich Projektleiter beim Telekomkonzern Orange, kommentierte via Fernsehen: "Die Ideen und Befehle kommen von oben, und wir müssen sie wie in einer Sekte wortwörtlich umsetzen."

"Wie im 18. Jahrhundert"

Solche Führungsmethoden seien vielleicht im 18. Jahrhundert verbreitet gewesen, widersprächen aber dem Anspruch von En Marche, eine junge, kreative Massenbewegung zu sein. Das zeuge von einem "eklatanten Mangel an interner Demokratie".

Andere LRM-Exponenten wiegeln ab: Bei 386.000 eingeschriebenen Sympathisanten falle das Ausscheiden einer Hundertschaft nicht ins Gewicht. Bis heute seien mehr Ein- als Austritte zu verzeichnen. Einer der 313 Parlamentsabgeordneten von LRM, Laurent Saint-Martin, räumt ein, dass sich die "horizontale Organisation der Anfänge" langsam in eine "vertikale" verwandle. LRM-Kenner schätzen, dass heute nur noch zehn Prozent von En Marche aktiv seien; die übrigen "Mitglieder" hätten sich seit ihrer Einschreibung per Internetklick nicht mehr gerührt.

Erklärt wird die "allgemeine Desillusionierung" (so Contrastin) teilweise mit Macrons Reformpolitik. Enttäuscht seien, so heißt es vielenorts, vor allem Ex-Wähler der Sozialistischen Partei, die mit fliegenden Fahnen zu Macron übergelaufen seien, aber mit den liberalen Wirtschaftsmaßnahmen des Präsidenten nichts anfangen könnten.

Anfängliches Missverständnis

Mindestens so wichtig ist wohl das ursprüngliche Missverständnis: En Marche war trotz des Internetauftritts nie als basisdemokratische Kreativbewegung gedacht gewesen. Wie es in der französischen Politik von den Gaullisten bis Sozialisten Tradition ist, war und ist sie eine intelligent gezimmerte Wahlmaschine im Dienste Macrons. Das zeigten schon die übereinstimmenden Initialen E und M. Nach seiner Wahl hatte der Pariser Eliteschulabsolvent ausdrücklich klargemacht, dass er "vertikal" – eben nicht basisdemokratisch – zu regieren gedenke. Und laut Le Monde tut er das "mit samtenem Lächeln, aber eiserner Hand".

Die paar Deserteure bringen Macron vorläufig nicht um den Schlaf. Gefährlich wird es für ihn erst, wenn die Enttäuschung der Basis ein Flächenphänomen wird, das die Stimmung im Land ausdrückt. Das wäre ein schlechtes Omen für die nächsten Lokal-, Regional- und Europawahlen. Die stehen aber nicht vor 2019 an. Bis dahin hat der Staatschef mit dem samtenen Lächeln noch Zeit, etwas mehr auf seine Anhänger zu hören. (Stefan Brändle aus Paris, 16.11.2017)