Florian Hecker tritt am 18. November bei Wien Modern auf: Halle G im Museumsquartier, 22 Uhr; Ausstellung bis 14. Jänner.

Foto: Jorit Aust

Wien – Optische Täuschungen sind den meisten Menschen ein Begriff, weniger bekannt ist, dass es auch akustische Täuschungen gibt. Eine Gelegenheit, sich mit solchen zu befassen, bietet sich derzeit in der Kunsthalle Wien, und zwar in der Ausstellung Halluzination, Perspektive, Synthese des Klangkünstlers Florian Hecker (geb. 1975 in Augsburg).

Eine von drei gezeigten Arbeiten befasst sich mit etwas, das den komplizierten Namen "distorsiv produzierte otoakustische Emissionen" trägt. Diese Emissionen ermöglichen etwa den Effekt, dass, wiewohl nur zwei sinusförmige Schallwellen unser Ohr erreichen, drei gehört werden. Es schleicht sich gewissermaßen ein Geisterton ein, der erst durch die Brechung der Schallwellen in unserem Innenohr entsteht. Auditory Scene (2017) nannte Hecker eine entsprechende Arbeit, die aus fünf Lautsprechern einfache Schallwellen sendet, in der Wahrnehmung des Hörers aber ganze Wolken von Klang entstehen lässt.

Spiel auf der Hörschnecke

Auditory Scene, für Tinnitus-Gefährdete eher nicht zu empfehlen, ist die körperlichste Arbeit in Heckers Ausstellung. Das ist wenig verwunderlich, macht sie doch unsere Hörschnecke direttissima zur Klangquelle. Harmloser sind da die beiden anderen der sogenannten Psychoakustik gewidmeten Arbeiten Heckers. Resynthese FAVN nennt sich die umfassendste. Sie beruht auf Heckers Stück FAVN, das seinerseits auf Claude Debussys Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns (1894) Bezug nimmt und 2016 in der Frankfurter Oper realisiert wurde.

Debussys impressionistisches Stück brach mit der Konvention, melodische und harmonische Entwicklung zur Essenz einer Komposition zu machen. Mehr denn um raffinierte Akkordfolgen ging es dem Franzosen um die Farbigkeit einzelner Töne und Akkorde. Baute Debussys Stück dabei noch auf dem Zwölftonsystem auf, so findet Hecker mehr als hundert Jahre später freilich ganz andere Voraussetzungen vor.

Nicht mit zwölf wohlgeordneten Tönen "malt" Hecker, sondern mit dem gesamten Spektrum aus sinuswellenförmigen Obertönen, aus denen sich jeder Klang aufbauen und in die er sich zerlegen lässt. Er bearbeitet, verwandelt, zersetzt den Stoff, aus dem die Geräusche sind. In der Praxis heißt das: Es tönt weniger, als es rattert, surrt, blubbert, rauscht und fiept in der Kunsthalle. Mag man hier durch den Gitarrenverzerrer glucksende Delfine hören, wird man sich an anderen Stellen an CD-Haspler erinnert fühlen.

Auch Resynthese FAVN setzt psychoakustische Erkenntnisse um, aber nicht so übersichtlich wie eingangs erwähnte Arbeit. Dem Stück liegt ein komplexer Algorithmus zugrunde, mit dessen Hilfe das in Frankfurt aufgeführte, in Wien aber nicht präsentierte Originalstück analysiert, transformiert und eben resynthetisiert wurde. Acht Variationen, bei denen einzelne Variablen der Berechnung jeweils verändert wurden, schuf Hecker für die Kunsthalle. Wer sie alle hören will, muss dabei mehr Zeit einplanen – jede dauert circa eine Stunde.

Dem Algorithmus hinter dem Klangerlebnis auf die Schliche zu kommen – wie verhalten sich die Variationen zueinander? – , darin könnte ein Reiz der Ausstellung liegen. Angelegt ist das rätselhafte Konzept jedoch nicht darauf, erschlossen zu werden. Was einem bleibt, ist jedenfalls, wie auch seitens der Kunsthalle vorgeschlagen: sich darauf einzulassen, dass es sinnliche Erlebnisse gibt, für die man keine Worte findet. Kann eigentlich eh auch nie schaden. (Roman Gerold, 15.11.2017)