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Als Cornelius Gurlitt 2014 starb, vererbte er seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern. Otto Muellers Aquarell "Liegender weiblicher Akt am Wasser" galt in der NS-Zeit als "entartete Kunst".

Foto: Reuters/Arnd Wiegmann

Apotheke, Hemd gewaschen, Wohngeld Hypo Vereinsbank: Stichwortartig protokollierte ein gewisser Cornelius Gurlitt seinen Alltag, der 2013 von einem Tag auf den anderen völlig aus den Fugen geriet. Am 3. November war im "Focus" unter dem Titel "Der Nazi-Schatz" ein Bericht zu seiner Kunstsammlung erschienen, die bayerische Zollbeamte ein Jahr zuvor in seiner Wohnung in München-Schwabing beschlagnahmt hatten.

Die Rede war von etwa 1500 Objekten im Wert von einer geschätzten Milliarde Euro, die einst als "entartete Kunst" konfisziert oder jüdischen Sammlern entzogen worden waren. Sie hatten einst Gurlitts Vater Hildebrand gehört, ehedem "Chefeinkäufer für Adolf Hitler". "Wüste Klingel-Tumulte", notierte der 80-Jährige am 4. November, vier Tage später "Karstadt Schwabing, Verhör – Angriffe auf der Straße". Der Auftakt einer medialen Hetzjagd, wie diese Kalendereinträge dokumentieren.

Nahezu auf den Tag genau vier Jahre später eröffneten das Kunstmuseum in Bern und die Bundeskunsthalle in Bonn unter dem Übertitel "Bestandsaufnahme Gurlitt" zwei Ausstellungen. Erstmals sind nun 410 Kunstwerke dieser Sammlung öffentlich zu sehen: In Bern thematisiert man anhand 160 Werken das Kapitel "Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft" (bis 4. März 2018), in Bonn beleuchten 250 Arbeiten den Aspekt "NS-Kunstraub und die Folgen" (bis 11. März 2018).

Gurlitt als Kurator

Sieht man von den aktuell dazu berufenen Kustoden ab, führte genau genommen Familie Gurlitt Regie. 1956 war Vater Hildebrand verstorben und hatte eine Melange aus privatem Kunstbesitz und Restbeständen seines Depots als Kunsthändler hinterlassen: etwa unter dem Begriff "entartete Kunst" geläufige Arbeiten verfemter deutscher Avantgarde, die 1937 aus deutschen Museumsbeständen entfernt worden waren.

Händler wir Gurlitt verkauften sie gegen Devisen für die Nazis teils ins Ausland. Dazu gehörten aber auch Trouvaillen französischer Impressionisten, die er zwischen 1941 und 1944 auf dem Kunstmarkt im besetzten Frankreich erworben hatte.

Der Schweizer Handel

Seinen Nachfahren sicherte diese Sammlung die Existenz. Immer wieder wurden Kunstwerke verkauft, "zaubern", nannte man diese Form der Verwertung in der Familie. Sohn Cornelius tat dies wahlweise über den deutschen, dann wieder über den Schweizer Handel. Erlöse aus Verkäufen in der Schweiz verblieben auf Konten ebendort und wurden bei Bedarf behoben. Auf diese Weise war Gurlitt bei einer Personenkontrolle im Zug von Zürich nach München 2010 ins Visier der Steuerfahnder geraten. Die nachfolgenden Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und Geldwäsche im Zusammenhang mit NS-Raubkunst führten zur Beschlagnahme. Die Durchsuchung von Gurlitts Haus in Salzburg-Aigen, die auf Wunsch der deutschen Behörden im Februar 2012 zeitgleich hätte erfolgen sollen, wurde von der Staatsanwaltschaft in Salzburg übrigens rundheraus abgelehnt. Kurz gesagt, weil eine solche Maßnahme in keinem Verhältnis zu den erhobenen Vorwürfen stand.

Nach Bekanntwerden der Causa meldeten sich internationale Experten zum vermeintlichen Raubkunstbestand und appellierten an die Verantwortung Deutschlands, sich endlich dieses Kapitels seiner Vergangenheit anzunehmen. Die Behörden kalmierten, versprachen Aufklärung und riefen eine Taskforce ins Leben. Bei etwa 590 Werken bestehe der Verdacht einer verfolgungsbedingten Entziehung während der NS-Zeit, innert eines Jahres wolle man deren Herkunft unter die Lupe nehmen und klären.

"Kunstfund"

So ambitioniert wie naiv. Und ein Beleg dafür, wie wenig Ahnung die Verantwortlichen von Provenienzforschung hatten. Denn der Bestand setzt sich hauptsächlich aus Grafiken und Arbeiten auf Papier zusammen, die, wenn überhaupt, nur dürftig dokumentiert sind. Die lückenlose Rekonstruktion der Besitzerchronik ist in dieser Kategorie mangels Quellenlage schwierig bis unmöglich. Dies ist erwiesen, wie die Bilanz nach vier Jahren zeigt.

Hunderte Posten wurden aussondiert: Teils handelte es sich um Arbeiten künstlerisch tätiger Mitglieder der Familie Gurlitt, teils hatte man im Übereifer auch Passepartouts oder Kalenderblätter inventarisiert. Gerade einmal sechs Kunstwerke wurden bislang zweifelsfrei als NS-Raubkunst identifiziert und teils restituiert. Für 696 Kunstwerke (Stand August) sei laut Projektleitung nach wie vor "ein NS-Raubkunstverdacht nicht auszuschließen". Daran arbeitet man sich nun ab. Laufende finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand sichern Forschung und Arbeitsplätze.

Auch das ist ein Nebeneffekt der Legende vom Nazi-Schatz, die, wie Recherchen des Autors Maurice Philip Remy belegen, von Ermittlern lanciert wurde: um den tatsächlichen Skandal der juristisch umstrittenen Beschlagnahme von Privateigentum zu kaschieren. Darüber sollte der verharmlosende, in der Causa Gurlitt bis heute geläufige Begriff "Kunstfund" nicht hinwegtäuschen. (Olga Kronsteiner, 13.11.2017)