Böttiger verwebt Briefpassagen, Zeitgenossenberichte, Gedichte und Interpretationen zu einem facettenreichen Text über die Beziehung zwischen Bachmann und Celan.

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Das Briefgeheimnis spielt bei Ingeborg Bachmann eine wichtige Rolle: In ihrem Werk taucht es auf als Chiffre für das Innerste einer Person, für den Schutz dieses privaten Raumes vor Zugriffen, davor, benutzt zu werden. Ein wenig bizarr wirkt vor diesem Hintergrund, was seit der Veröffentlichung im Jahr 2008 mit dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan geschehen ist: Neben der (überaus gelungenen) filmischen Annäherung von Ruth Beckermann, Die Geträumten, haben die Briefe auch ihren Weg auf Theaterbühnen gefunden – zu schön, zu wirkungsvoll diese Vorlage, um sie nicht zu nutzen.

Nun wird dieser zwischen Intimität und Literatur changierende Briefwechsel, diese zu Lebzeiten so diskret geführte Liebesbeziehung in einer weiteren Form der Öffentlichkeit präsentiert: Der Literaturkritiker Helmut Böttiger erzählt in Wir sagen uns Dunkles erstmals, wie es im Klappentext heißt, die "dramatische Liebesgeschichte" in "ihrer gesamten Chronologie". Es mutet doch ein wenig seltsam an, dass er mit keinem einleitenden Wort auf die prekäre Situation eines solchen Vorhabens zwischen öffentlichem Interesse und der Ungeschütztheit der beiden Protagonisten gegenüber einem solchen Zugriff verweist – zumal er selbst explizit einen Brief Bachmanns an Hans Weigel zitiert, in dem es heißt: "Ich hab solche Angst, wenn die einmal den Nachlass zusammensuchen und diese Briefe finden." Freilich hat zuletzt die Veröffentlichung privater Aufzeichnungen Bachmanns im Zuge der von Hans Höller und Irene Fußl herausgegebenen Salzburger Bachmann-Edition eine voyeuristische Sicht auf Bachmanns Schaffen befeuert.

Doch während die Herausgeber diese Problematik thematisieren und um einen redlichen Umgang damit ringen, schreibt Böttiger, als gäbe es sie gar nicht: "Das Wien des Frühjahrs 1948 war ein Film in Schwarz-Weiß", beginnt er das erste Kapitel, um wenig später über die gemeinsame Zeit von Bachmann und Celan in Wien irritierend unreflektiert festzustellen: "Aber diese sechs Wochen sind der rätselhafte Kern ihrer Beziehung, ihr privater Mythos und der Quell unzähliger späterer Zuschreibungen."

Dabei ist Böttigers Studie in vielem sehr gelungen: Faktenreich verwebt er Briefpassagen, Zeitgenossenberichte, Gedichte und Interpretationen zu einem facettenreichen Text. Er zeichnet ein anschauliches Bild der mitteleuropäischen Nachkriegsgesellschaft und des bundesdeutschen Literaturbetriebes. Gerade die Passagen, in denen es um die Gruppe 47 geht (über die Böttiger ein 2013 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnetes Buch geschrieben hat), sind ausgesprochen lesenswert. Ganz fehlerfrei ist seine Darstellung jedoch nicht immer, ihm unterlaufen sachliche Ungenauigkeiten wie etwa jene, über die Bachmann der frühen 1950er-Jahre zu behaupten, dass sie "bald keine Gedichte mehr schreiben wird" – während noch aus dem Jahr 1964 Gedichte von ihr überliefert sind. Und während Böttiger bei Paul Celan einen sachlichen Ton anschlägt, neigt er gerade bei Ingeborg Bachmann zu Mutmaßungen.

Unangenehm mutet an, wie er der jungen Bachmann wiederholt zuschreibt, das "naive, kokette Mädchen vom Lande" gespielt oder eine "mädchenhaft-verrucht wirkende" Pose eingenommen und zu Hans Weigel "eine neckisch-schlüpfrige Beziehung" unterhalten zu haben. Während es über Celan heißt, er habe seine Gedichte "für" Bachmann geschrieben, wird konstatiert, dass er die jüngere Bachmann "als seine Schülerin empfinden musste", dass ihr Gedichtband Die gestundete Zeit "ohne Celan nicht zu denken" sei.

Dass die beiden nicht nur eine private Beziehung, sondern auch eine "poetische Korrespondenz" auf Augenhöhe unterhielten, ist weithin bekannt – bei Böttiger wird, zumindest zu Beginn, eine hierarchische Dichter-Muse/Schülerin-Beziehung daraus. Aus der Tatsache, dass die Hochzeiten Celans und Hans Weigels mit ersten Erfolgen Bachmanns als Schriftstellerin zusammenfielen, folgert er: "Die selbstbestimmte Frau, die Dichterin und Intellektuelle, und die unstete und allein gelassene Geliebte waren eine einzige Figur."

Als Beweis führt er Bachmanns in einem Interview getätigte Aussage über die Protagonistin von Malina an, nach der die "Zerstörung ihrer Person" in den "entscheidenden Jahren von 18 bis 25" erfolgt sei. Dass Bachmann in dieser Zeit auch aus nächster Nähe die Korruption der bürgerlichen Nachkriegsgesellschaft, das Fortleben alter NS-Strukturen, die ersten Auswüchse eines sich entwickelnden Kapitalismus erlebte und gerade diese Themen sie als Autorin umtrieben, unterschlägt er. Was bleibt, ist das Bild einer "unsteten" Frau, die aus (enttäuschter) Liebe schreibt.

Erst gegen Ende des Buches, wenn Böttiger von den parallel zueinander ablaufenden "Lebenskatastrophen" der beiden erzählt, hat man den Eindruck, dass er beiden Protagonisten gleichermaßen nahekommt. (Andrea Heinz, Album, 14.11.2017)