Einem Vaporetto-Heck nachempfunden und gespickt mit Kunstzitaten ist Julian Turners "Exkursion".

Foto: Mumok

Julian Turner wurde 1985 in Hamburg geboren und studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Bildhauerei und Malerei.

Foto: Präsentationsart

Wien – Im Heck eines Vaporettos sitzend, lässt es sich gemütlich durch die Lagune Venedigs schippern. Man kann die Sehenswürdigkeiten bestaunen und gegebenenfalls die Höhepunkte der Biennale diskutieren. Nach dem Bummel durch die Giardini und der Bootsfahrt könnte man dann außerdem noch auf ein Gläschen in die Bar du Bois schauen, von der man so viel gehört hat. Sie muss irgendwo ganz in der Nähe sein.

Oder auch nicht. Denn Obacht: Diese Bar ist nur eine Erfindung des Künstlers Julian Turner. Gut, sie existierte einst als temporärer Ausstellungs- und Barraum in Wien, ihre venezianische Dependance ist aber Teil eines ausgeklügelten Projekts Turners. Der Wiener Künstler, der nun mit dem 2017 zum zweiten Mal verliehenen Kapsch Contemporary Art Prize ausgezeichnet wurde, nimmt mit Vorliebe augenzwinkernd die Kunstwelt aufs Korn. Schon während seines Studiums der Malerei und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste Wien verlieh er etwa seinen eigenen Turner Prize – bezugnehmend auf die renommierte britische Auszeichnung – und trat auf seiner Website als "verdienter Künstler" auf. In seinem Diplomprojekt beschäftigte sich der 1985 in Hamburg geborene und in Wien aufgewachsene Turner dann mit der Biennale von Venedig, diesem touristischem Großereignis und Höhepunkt des Kunstzirkus.

Keine Sehenswürdigkeiten

Zur fiktiven, angeblich nahe den Giardini gelegenen Bar du Bois gesellt sich dabei auch eine reale, barartige Sitzgelegenheit: Exkursion (2017) ist die detailgetreue Nachbildung eines Vaporetto-Hecks und die zentrale Arbeit in Julian Turners Preisträgerausstellung warum nicht im Mumok. Der Betrachter ist eingeladen, auf einer halbrunden Bank Platz zu nehmen und den Blick schweifen zu lassen.

Die Sehenswürdigkeiten, die man mit der Rundfahrt im Wasserbus assoziiert, spart Turner allerdings aus. Der Vaporetto-Nachbau selbst ist eine Collage, für deren Versatzstücke sich Turner munter bei derzeit aufstrebenden Gegenwartskünstlern bedient: Die Wandverkleidung ist einer Arbeit Sergej Jensens entliehen, die Streben hat er bei Oscar Tuazon gemopst.

Nicht abzusprechen ist dem Werk ein gewisser Bastelcharakter. Dieser zieht sich durch Turners OEuvre und ist auch den als Display genutzten Boxen anzusehen. Obwohl der Künstler viel Wert darauf legt, dass nichts zu perfekt, zu glatt wirkt, geht er doch mit Bedacht und Genauigkeit bei der Wahl seiner Materialien und deren Bearbeitung vor. Denn "irgendwie" unperfekt, also beliebig, dürfe es auch nicht werden, es soll schon stimmig sein, sagt er. So wurden die Displays fürs Mumok neu angefertigt: Sie sind nicht nur an die Raumgröße des Museums angepasst, sondern auch an die spezielle Wandstruktur im Mumok, die glatter ist als jene anderer Ausstellungsräume.

Museale Präsentationsformen hinterfragt Turner in warum nicht ebenso wie nichtmuseale. Er fragt danach, "was wir sammeln, wie wir sammeln und warum wir sammeln." Selbst geht er dabei mit der Kamera vor: In unzähligen Fotografien hat er dokumentiert, wie ein "Display" aussehen kann, lichtete etwa Vitrinen an Bahnhöfen oder leere Schaufenster ab. Es sind die Dinge, an denen man im Alltag gerne achtlos vorbeiläuft, die Turner besonders faszinieren und die er auch für seine Arbeiten aufgreift. "Was nicht genug Anerkennung bekommt, muss man ins Museum holen", meint Turner. Wie etwa die Fliesen einer Ostberliner U-Bahn-Station: Sie wurden für ihn erst dann Thema, als er von ihrer drohenden Entfernung im Zuge einer Renovierung erfuhr. Und apropos Bahnhof: Für Züge hegt der Künstler eine ganz besondere Leidenschaft, seien es die Waggons selbst oder die Architektur und Gestaltung ihrer Stationen. Schon als Kind ist er mit dem Vater auf der Eisenbahnbrücke spazierengegangen, bis heute sind die Züge "ein großes Hobby".

Spielerischer Ernst

Im Mumok begegnet man denn auch einem Exemplar: Ein blau-weiß bemaltes Schnellzugmodell steht auf einem Sockel in Terrazzo-Optik und erfüllt wie das Vaporetto auch eine soziale Funktion – in seinem Inneren versteckt sich eine Minibar. "Lauter Quatsch" sei das alles, meint Turner lachend. Wenn er aber über den Arbeitsprozess spricht, darüber, wie er vorgeht, um exakt die richtige Patina für den Zuglack hinzubekommen, wird klar, wie viel Ernst im Spielerischen steckt und wie viel Mühe es kostet, sich solch einen Jux zu machen. (Kathrin Heinrich, Spezial, 10.11.2017)